Das aktuelle Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 14. Mai 2019 (C-55/18) zur Arbeitszeiterfassung war ein regelrechter Paukenschlag und ist bereits vielstimmig von Politik, Wirtschaft und in den Medien kommentiert worden.
Die Digitalisierung und die Globalisierung führen dazu, dass unsere heutige Arbeitswelt immer schnelllebiger und die regelmäßige Arbeitszeit von Arbeitnehmern immer schlechter planbar wird. Durch das Urteil drohen nun empfindliche Einbußen an der hierfür erforderlichen Flexibilität der Arbeitnehmer.
Hintergrund
Der Entscheidung des EuGHs liegt die Klage der spanische Gewerkschaft CCOO gegen die Deutsche Bank SAE zugrunde. Mit ihrer Klage verfolgte die Gewerkschaft die Einführung eines Arbeitszeiterfassungssystems zur Überprüfung der Einhaltung der vereinbarten Arbeitszeit.
Nach spanischem Recht besteht eine solche umfassende Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit nicht. Lediglich Überstunden müssen danach erfasst werden. Im Ergebnis entspricht dies auch der derzeitigen Rechtslage in Deutschland nach § 16 Arbeitszeitgesetz. Eine Verpflichtung zur umfassenden Arbeitszeiterfassung besteht bisher nur in wenigen Fällen, beispielsweise für Beschäftigte im Straßentransport oder für die dem Mindestlohn unterliegenden Branchen.
Entscheidung
Der EuGH hat nun entschieden, dass Arbeitgeber die Arbeitszeiten ihrer Arbeitnehmer systematisch erfassen müssen. Dies folge aus der EU-Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG). Dabei obliegt es den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten, die konkreten Modalitäten zur Umsetzung eines solchen Systems festlegen.
Mit seiner Entscheidung will der EuGH die in der EU-Arbeitszeitrichtlinie und in den EU-Grundrechten zugesicherten Arbeitnehmerrechte stärken. Dabei könne, nach Ansicht der Richter, nur durch eine systematische Erfassung der Arbeitszeit die im EU-Recht enthaltenen Vorgaben zur Beachtung der Mindestruhezeiten gewährleistet sowie eine Überschreitung der wöchentlichen Höchstarbeitszeiten verhindert werden. Dies diene der Sicherheit und dem Zwecke des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer. Die – auch in Deutschland übliche – Erfassung nur von Überstunden reiche nicht aus damit Arbeitnehmer ihre Rechte effektiv durchsetzen können.
Ausblick
Unmittelbare Folgen durch das Urteil drohen Arbeitgebern nicht. Zunächst ist der deutsche Gesetzgeber in der Pflicht, die EU-Arbeitszeitrichtlinie entsprechend der Vorgaben des EuGHs umzusetzen. Insoweit eröffnet die Richtlinie einen gewissen Gestaltungsspielraum, so dass gegebenenfalls Besonderheiten der jeweiligen Tätigkeitsbereiche bzw. Eigenschaften bestimmter Unternehmen berücksichtigt werden können. Auch sind in der Richtlinie u.a. Ausnahmetatbestände zur täglichen Ruhezeit und wöchentlichen Höchstarbeitszeit vorgesehen.
In einigen Branchen, in denen die Zeiterfassung aufgrund tarifvertraglicher oder betrieblicher Bestimmungen auch bisher schon erfolgt, wird sich nichts ändern. In andere Branchen, in denen die Arbeitnehmer mit ihrer Arbeitszeit sehr flexibel umgehen, stehen hingegen große Veränderungen an. Wird abends noch im betrieblichen Interesse des Arbeitgebers von zuhause aus telefoniert oder werden E-Mails geschrieben, müsste diese Tätigkeit als Arbeitszeit erfasst werden. Einbußen an der Flexibilität werden sich daher kaum vermeiden lassen.
Keinesfalls bedeutet diese Entscheidung aber das Aus für unbezahlte Überstunden. Die Erfassung an sich hat keine Auswirkungen darauf, wie mit der zusätzlichen Arbeitszeit umzugehen ist. Mehrarbeit kann weiterhin als freiwillig eingestuft oder mit dem Grundgehalt abgegolten werden.
Der Umsetzung durch den Gesetzgeber in Deutschland darf mit Spannung entgegengesehen werden.
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