BGH stellt klar: Zahlungen nach Insolvenzreife sind als gesetzliche Haftpflichtansprüche von der D&O-Versicherung gedeckt

Im Blog-Beitrag „5 Punkte, die Sie im Zusammenhang mit Ihrer D&O Versicherung unbedingt beachten sollten“ vom Oktober 2020 fand sich noch der Hinweis: „Vorsicht: Ggf. keine Deckung für Zahlungen nach Insolvenzreife“. Zwischenzeitlich hat der BGH die Frage zugunsten der versicherten Unternehmensleiter entschieden.

Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder sind ihrer Gesellschaft zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Insolvenz der Gesellschaft geleistet werden, sofern diese nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind (§ 15b Abs. 4 S. 1 InsO; bis zum 31.12.2020 für die GmbH § 64 S. 1 GmbHG, für die AG §§ 92 Abs. 2 S. 1, 93 Abs. 2, Abs. 3 Nr. 6 AktG).

Derartige verbotswidrige Zahlungen nach Eintritt von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung – etwa für Miete oder Stromkosten, Dienstleistungen usw. – kommen praktisch häufig vor. Dennoch war seit einem Beschluss des OLG Celle aus dem Jahr 2016 unklar, ob solche Ersatzansprüche vom Deckungsumfang einer D&O-Versicherung umfasst sind, da es sich nach verbreiteter Auffassung nicht um (einzig von der Versicherung gedeckte) gesetzliche Haftpflichtansprüche bzw. Schadensersatzansprüche handeln soll.

Die Entscheidung des BGH vom 18.11.2020 – IV ZR 217/19

Der BGH hat jetzt in seiner Entscheidung vom 18. November 2020 klargestellt: Auch bei dem Anspruch aus § 64 S. 1 GmbHG (seit 01.01.2021: § 15b Abs. 4 S. 1 InsO) handelt es sich um einen gesetzlichen Haftpflichtanspruch auf Schadensersatz im Sinne der Versicherungsbedingungen ULLA („Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Vermögenschaden Haftpflichtversicherung von Unternehmensleitern und Leitenden Angestellten“). Allgemeine Versicherungsbedingungen seien so auszulegen, wie sie ein durchschnittlicher, Versicherungsnehmer versteht, der zwar Geschäftserfahrung hat, aber keine versicherungsrechtlichen Spezialkenntnisse. Der durchschnittliche Versicherte erwarte aber, dass gerade das für ihn bedeutende und potentiell existenzvernichtende Haftpflichtrisiko aus § 64 S. 1 GmbHG von der D&O-Versicherung gedeckt ist. Weitergehende dogmatische Erwägungen, etwa zu der Frage, ob ein klassischer Schadensersatzanspruch vorliege, könne und müsse ein versicherter Unternehmensleiter nicht anstellen.

Ansprüche der Gesellschaft gegen ihre Unternehmensleiter wegen Zahlungen nach Insolvenzreife sind daher vom Versicherungsumfang einer D&O-Versicherung bzw. von Ziffer 1.1 ULLA umfasst.

Fazit

Das Urteil kommt zur rechten Zeit. Die andauernde Coronavirus-Pandemie stellt für viele Unternehmen einen anhaltenden Stresstest dar – trotz mehrfach verlängerter Aussetzung der Insolvenzantragspflicht. Das Urteil des BGH schafft Rechtssicherheit im Hinblick auf den Versicherungsschutz von Unternehmensleitern bei insolvenzwidrigen Zahlungen: Diese müssen – bei Inanspruchnahme des Unternehmensleiters durch den Insolvenzverwalter – als gesetzliche Haftpflichtansprüche ebenfalls von der D&O-Versicherung übernommen werden.

Die Klarstellung des BGH könnte jedoch bei bestehender D&O-Versicherung dazu führen, dass Insolvenzverwalter die Ansprüche aus § 15b InsO nun häufiger geltend machen werden – nach dem Motto „Deckung schafft Haftung“. Der bisherige Einwand, dass beim Unternehmensleiter nichts zu holen sei, entfällt. Abzuwarten bleibt zudem, ob Versicherer solche Ansprüche in den Versicherungsbedingungen künftig ausdrücklich ausschließen.