Die nachfolgend vorgestellte Entscheidung betrifft alle Bauunternehmer, die Bauleistungen für Verbraucher auf der Grundlage eines (Verbraucher-) Bauvertrags erbringen. Ein Verbraucherbauvertrag liegt vor, wenn der Bauunternehmer zum Bau eines neuen Gebäudes oder zu erheblichen Umbaumaßnahmen an einem bestehenden Gebäude verpflichtet wird(§ 650i BGB). Erforderlich ist also im Grundsatz, dass sämtliche Leistungen aus einer Hand kommen (Beispiel: Generalunternehmer). Für solche Verträge sieht das BGB erhebliche Schutzvorschriften für den Verbraucher vor, insbesondere ein spezielles Widerrufsrecht nach § 650l BGB, während für „normale“ Bauverträge mit Verbrauchern nur die allgemeinen Vorschriften des BGB zum Widerruf von Verbraucherverträgen gelten (§ 312g BGB).
Sachverhalt
In einem „normalen“ (also nicht alle Gewerke umfassenden) Bauvertrag zwischen Unternehmer und Verbraucher wurde eine mündliche Nachtragsvereinbarung getroffen, die eine zusätzliche Vergütung für zusätzliche Leistungen des Unternehmers vorsah. Der Verbraucher widerrief diese Vereinbarung, und der Unternehmer klagte auf Zahlung der Vergütung.
Entscheidung des Gerichts
Das OLG Karlsruhe (Beschluss vom 14.04.2023 – 8 U 17/23) entschied, dass Nachtragsvereinbarungen über zusätzliche Leistungen des Unternehmers rechtlich selbstständige Werkverträge seien. Dies liege daran, dass sie wie der Hauptvertrag durch Angebot und Annahme zustande gekommen seien. Daher könnten sie auch unter den Voraussetzungen der §§ 312b, 312g BGB (oder den Voraussetzungen der §§ 650i, 650l BGB bei zusätzlichen Leistungen im Rahmen von Verbraucherbauverträgen) selbstständig widerrufen werden. Diese Entscheidung gelte unabhängig davon, ob die Nachtragsvereinbarungen den Hauptvertrag ergänzen oder nur zusätzliche Leistungen zur Herstellung eines funktionstauglichen Werks betreffen.
Das Gericht erklärte weiter, dass gemäß § 312b Abs. 1 Nr. 1 BGB das Widerrufsrecht nur davon abhänge, ob der Vertragsschluss außerhalb von Geschäftsräumen erfolgte. Eine konkrete „Überraschung“ oder „Überrumpelung“ des Verbrauchers sei nicht erforderlich. Es sei auch nicht notwendig, dass die Überrumpelungssituation kausal zum Vertragsschluss durch den Verbraucher geführt hat. Diese Auslegung basiert auf der Gesetzesbegründung und der Verbraucherrichtlinie 2011/83/EU und berücksichtigt nicht die konkrete Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers im Einzelfall.
Praxishinweis
Während Bauunternehmer mit Widerrufsbelehrungen in neu abzuschließenden (Verbraucher-) Bauverträgen seit vielen Jahren „routiniert“ umgehen, wird bei Nachträgen zu diesen Verträgen meist „hemdsärmelig“ vorgegangen und nicht erneut über das Widerrufsrecht belehrt. Die Risiken dieser Praxis für den Unternehmer sind immens: Der Verbraucher-Bauherr kann einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Werkvertrag beispielsweise über Dachdeckerarbeiten innerhalb von 12 Monaten und 14 Tagen widerrufen, wenn die Widerrufsbelehrung fehlt oder unwirksam ist. Wird der Verbraucher nicht ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht belehrt, schuldet er keinen Wertersatz, wenn er den Vertrag widerruft und eine Rückgewähr der (Dienst-/ bzw. Werk-)Leistung nicht möglich ist. Mit anderen Worten: Der Bauherr bekommt die Bauleistung kostenlos!
Der Beitrag ist zuerst erschienen im ImmobilienReport Metropolregion Rhein-Neckar Ausgabe 171.