Veraltete Gesellschafterlisten können teuer werden: Risiko der Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen für Gesellschafter-Geschäftsführer

Das Bundessozialgericht (BSG) hat in seinem Urteil vom 13.03.2023 (Az. B 12 R 4/21 R) eine entscheidende Klarstellung zur sozialversicherungsrechtlichen Behandlung von Gesellschafter-Geschäftsführern getroffen. Das BSG bestätigte, dass es für die sozialversicherungsrechtliche Einordnung des Gesellschafter-Geschäftsführers als abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig maßgeblich auf die Anteilsverhältnisse ankomme, welche sich aus der beim Handelsregister hinterlegten Gesellschafterliste ergeben. Dies gelte auch – und das ist neu – für Gesellschafterlisten, die vor Inkrafttreten des MoMiG am 01.11.2008 beim Handelsregister hinterlegt wurden. Es besteht somit die Gefahr der Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen, wenn die Gesellschafterliste nicht die tatsächlichen Beteiligungsverhältnisse ausweist.

Hintergrund

Ob ein Geschäftsführer abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt maßgeblich von seiner „Rechtsmacht“ in der Gesellschaft ab. Eine ausreichende Rechtsmacht für die Einordnung als selbstständige Tätigkeit ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn der Gesellschafter-Geschäftsführer mindestens 50 % der Gesellschaftsanteile bzw. der Stimmrechte hat oder über eine umfassende Sperrminorität im Gesellschaftsvertrag ihm nicht genehme Beschlüsse der Gesellschafterversammlung verhindern kann.

Sachverhalt

Die Parteien stritten darüber, ob der Gesellschafter-Geschäftsführer der GmbH aufgrund seiner Beschäftigung in der Zeit vom 1.1.2013 bis zum 31.8.2014 der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterlag.

Zum Zeitpunkt der Betriebsprüfung durch die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) im Jahre 2017 war im Handelsregister eine im Jahr 1997 eingereichte Gründungsgesellschafterliste hinterlegt. Ausweislich dieser Liste hielt der Gesellschafter-Geschäftsführer 49 % der Geschäftsanteile. Tatsächlich hielt er jedoch aufgrund einer Übertragung von Geschäftsanteilen durch einen Mitgesellschafter seit dem Jahr 1998 50 % der Geschäftsanteile. Eine Gesellschafterliste, welche die geänderten Beteiligungsverhältnisse auswies, reichte der Geschäftsführer versehentlich nicht ein.

Nach der Betriebsprüfung forderte die Beklagte Sozialversicherungsbeträge und Umlagen iHv € 18.850,82 zurück. Dies begründete die DRV damit, dass der Geschäftsführer ausweislich der hinterlegten Gesellschafterliste nur eine Kapitalbeteiligung von 49 % halte und er aufgrund der fehlenden Rechtsmacht einem versicherungspflichtigen, abhängigen Beschäftigungsverhältnis nachgehe.

Entscheidung

Das BSG gab der DRV recht und teilte deren Rechtsauffassung, dass sich der Umfang der Rechtsmacht eines Gesellschafters allein nach der beim Handelsregister hinterlegten Gesellschafterliste bestimmt, unabhängig von der materiell-rechtlichen Berechtigung und dem Zeitpunkt der Einreichung.

Gestützt wird dieses Urteil primär auf das Erfordernis der Vorhersehbarkeit und Klarheit beitragsrechtlich relevanter Sachverhalte. Entscheidend hierbei sei, dass die DRV bereits zu Beginn des zu beurteilenden Zeitraums klar erkennen können müsse, welche Rechtspositionen für die Beurteilung einzubeziehen seien. Dies sei nur gewährleistet, wenn die Prüfung anhand der Gesellschafterliste durchgeführt werde. Denn die Gesellschafterliste gebe Auskunft darüber, wer im Verhältnis zur Gesellschaft als Inhaber der Geschäftsanteile gelte. Diese sog. Legitimationswirkung der Gesellschafterliste gibt es zwar erst seit dem Inkrafttreten des MoMiG zum 01.11.2008. Zuvor galt derjenige gegenüber der Gesellschaft als berechtigt, der den Erwerb von Geschäftsanteilen unter Nachweis des Übergangs bei der Gesellschaft anmeldete; der Gesellschafterliste kam nach altem Recht insoweit keine Rechtsscheinwirkung zu. Trotzdem findet die Legitimationswirkung aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht nach Auffassung des BSG auch auf Gesellschafterlisten Anwendung, die vor dem 01.11.2008 in das Handelsregister aufgenommen wurden, ohne dass es auf eine etwaige Anmeldung der Anteilsübertragung ankomme. Nur so könne Rechtssicherheit hergestellt werden.

Kritik

Die Entscheidung gibt Anlass zu rechtlichen Zweifeln und vermag nicht zu überzeugen.

Entgegen der Auffassung des BSG liegt insbesondere eine verfassungsrechtlich unzulässige echte Rückwirkung vor. Der betroffene Gesellschafter hat unter Geltung des alten Rechts sämtliche Voraussetzungen für einen wirksamen Rechtserwerb erfüllt; insbesondere wurde durch die Anmeldung die Gesellschafterstellung im Verhältnis zur Gesellschaft rechtlich vollzogen. Ein nachträglicher Eingriff in diese bereits abgeschlossene und rechtlich gesicherte Position verletzt das Rückwirkungsverbot. Den an der Übertragung Beteiligten können keine weitergehenden Pflichten auferlegt werden, als jene, die zum Zeitpunkt des Rechtserwerbs galten.

Praxishinweis

Trotz dieser Kritik ist dringend anzuraten, veraltete Gesellschafterlisten zu aktualisieren. Denn die DRV wird dem Urteil des BSG folgen und sich lediglich auf die hinterlegte Gesellschafterliste stützen. Deshalb können fehlerhafte oder veraltete Gesellschafterlisten erhebliche finanzielle Folgen nach sich ziehen. Gesellschafterliste, welche nach dem 01.01.2007 zum Handelsregister eingereicht wurden, können elektronisch unter www.handelsregister.de eingesehen werden. Ältere Listen sind leider nicht online einsehbar und müssen bei dem entsprechenden Registergericht (elektronisch) angefragt werden.