Mittlerweile hat das Coronavirus (SARS-CoV-2) Deutschland nicht nur erreicht, sondern fest im Griff. Die europäische Automobilbranche kommt zum Erliegen, Automobilhersteller wie VW, Porsche, Daimler und Audi schließen ihre Werke und auch Zulieferer wie Continental oder Bosch sind gezwungen, ihre Produktion zumindest teilweise einzustellen (vgl. Handelsblatt vom 18.03.2020). Lieferketten stocken aufgrund der weltweiten Ausbreitung des Virus, Grenzkontrollen und Quarantänemaßnahmen sorgen für Verzögerungen. Eine Vielzahl von Branchen ist von der Coronavirus-Pandemie betroffen und die Herausforderungen im beruflichen und wirtschaftlichen Bereich mehren sich täglich und bringen gravierende Folgen für eine Vielzahl von Betrieben mit sich.
Mögliche Beeinträchtigungen aufgrund der Coronavirus-Pandemie
Maßnahmen wie die in Baden-Württemberg erlassenen Allgemeinverfügungen zur Begrenzung oder zum Verbot von Versammlungen und Schließung von einzelnen Betrieben sollen zu einer Verminderung von Kontakten zwischen Menschen und damit einer Eindämmung der Verbreitung des Virus führen. Schließen jedoch Betriebe können vertragliche Verpflichtungen regelmäßig nicht aufrechterhalten werden, in Lieferketten und Leistungsbeziehungen kann es durch Schließungen oder Quarantänemaßnahmen zu Ausfällen ganzer Produktionsstandorte kommen, aber auch Mehrkosten für Schutz- und Sicherheitsmaßnahmen von Arbeitnehmern oder zur Sicherstellung des Betriebsablaufs können hinzukommen. Die Bewältigung der Pandemie birgt trotz angekündigter Hilfen der Bundesregierung eine Vielzahl rechtlicher Probleme für Unternehmen, insbesondere sind Haftungsfragen und mögliche Schadensersatzansprüche zu klären.
Grundsatz der Vertragstreue: Pacta sunt servanda
Pauschale Lösungen für diese Probleme gibt es kaum, vielmehr ist eine Prüfung des jeweiligen Einzelfalls erforderlich. In erster Linie maßgeblich sind dabei die vertraglichen Grundlagen, wonach in der Regel Lieferpflichten ebenso wie Abnahmeverpflichtungen grundsätzlich weiter einzuhalten sind. Dennoch ist ein genauer Blick auf die konkrete Vereinbarung des Vertragsgegenstandes und der geregelten Pflichten unabdingbar: Insbesondere ist zu prüfen, wie die konkreten Lieferbedingungen ausgestaltet sind, gibt es Regelungen für den Fall einer Unmöglichkeit der Leistungserbringung oder beispielsweise einer erschwerten Materialbeschaffung, gibt es eine Pflicht zur Beschaffung von Ersatz und wurde bereits vertraglich eine Risikoverteilung vorgenommen? Im besten Fall sind bereits im Rahmen der Vertragsgestaltung klare Regelungen für Fälle der Leistungsstörungen getroffen, oftmals enthalten sind auch sog. „Force Majeure“ bzw. „Hardship“ oder „Höhere Gewalt“-Klauseln.
Force Majeure, Hardship und Höhere Gewalt
Hierdurch sollen die Folgen schwerwiegender Veränderungen der Vertragsumstände geregelt werden. Gut formulierte Klauseln enthalten dabei sowohl klare Voraussetzungen des Eingreifens, mithin welche Umstände die Vertragsparteien als relevant ansehen, legen aber auch klare Rechtsfolgen fest.
Dabei ist häufig geregelt, dass die Vertragspartner sich bei schwerwiegenden Ereignissen, wie höherer Gewalt, aber auch Arbeitskämpfen, Unruhen und kriegerischen oder terroristischen Auseinandersetzungen, die die Leistungsdurchführung beeinträchtigen, gegenseitig für die Dauer der Störung von ihren Leistungspflichten (aber nur soweit diese hiervon auch beeinträchtigt sind) befreien. Stets erforderlich ist üblicherweise, dass die Vertragsparteien sich über ein solches Hindernis möglichst frühzeitig informieren und in der Regel auch eigenständig versuchen die Beeinträchtigungen für die andere Seite möglichst gering zu halten. Darüber hinaus kann vereinbart werden, dass die Vertragsparteien einer Anpassung der vertraglichen Verpflichtungen nach Treu und Glauben zustimmen oder sich nach einer gewissen Dauer von den vertraglichen Verpflichtungen durch Kündigung oder Rücktritt lösen können. Schadensersatz wird in der Regel für beide Parteien ausgeschlossen.
Enthält ein Vertrag eine solche Klausel muss geprüft werden, ob die aktuelle Situation, die seitens der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bereits als Pandemie bezeichnet wurde, auch tatsächlich erfasst ist. Sind Epidemien oder vergleichbare Krankheits- oder Infektionsgeschehen nicht bereits ausdrücklich genannt, kann ein Fall höherer Gewalt vorliegen. Ein solcher Fall wird regelmäßig definiert als ein betriebsfremdes, von außen kommenden Ereignis, das auch durch äußerste, vom Betroffenen zu erwartende Sorgfalt nicht abzuwenden ist. Soweit die betroffene Vertragspflicht infolge des Ausbruchs des Coronavirus bzw. Covid-19 nicht erbracht werden kann, besteht die Möglichkeit, dass ein Fall höherer Gewalt angenommen werden kann. Auch hier ist jedoch der Einzelfall entscheidend, sind Lieferschwierigkeiten an einem Ort entstanden, der von der Coronavirus-Pandemie kaum betroffen ist, ist zweifelhaft, ob ein Fall höherer Gewalt angenommen werden kann.
Gesetzliche Bestimmungen
Besteht ein solche vertragliche Regelung nicht und ist diese auch nicht, beispielsweise durch Anwendung von Regelwerken, die eine solche enthalten (z.B. Art. 79 CISG), einbezogen, ist auf die gesetzlichen Bestimmungen zurück zu greifen. Wenn die vertraglich geschuldete Leistung nicht erbracht werden kann, weil z.B. die Produktionsstätte geschlossen wurde, kann nach deutschem Recht ein Fall der Unmöglichkeit vorliegen, mit der Folge, dass der Anspruch auf Leistung ggf. ausgeschlossen ist. Auch hier müssen jedoch die vertraglichen Pflichten berücksichtigt werden, sofern der Unternehmer ggf. die Ware auch anderweitig beschaffen kann, wird er nicht zwangsläufig von seiner Leistungspflicht frei. Eventuell kann allerdings in einem solchen Fall die Leistung verweigert werden, wenn diese in keinem Verhältnis zum Interesse des Vertragspartners steht, in Betracht kommt unter Umständen auch, dass nach den gesetzlichen Bestimmungen eine Anpassung des Vertrages verlangt werden kann. Auch hier ist jedoch stets der Einzelfall zu prüfen, pauschale Aussagen zu diesen komplexen rechtlichen Fragen können in der sich täglich verändernden Situation nicht getroffen werden.
Empfehlungen
Unternehmen sollten daher schnellstmöglich eine Risikoanalyse vornehmen und ihre Verträge auf mögliche Klauseln betreffend Leistungsstörungen prüfen. Eine Abstimmung mit dem Vertragspartner kann ggf. bereits im Vorhinein erfolgen. Drohen Gefahren oder kündigen sich Schwierigkeiten bei der Beschaffung, Produktion oder in sonstiger Weise in Bezug auf die geschuldete Leistung an, sollte – und je nach Vertragslage „muss“ – spätestens dann eine umgehende Mitteilung an den Vertragspartner erfolgen. Nur so kann ein möglicher Schaden frühzeitig minimiert oder sogar verhindert werden und der eigene Schadensbeitrag gering gehalten werden. Die Ursachen und Umstände, die zu Verzögerungen und Beeinträchtigungen führen, sollten dabei sorgfältig und nachweisbar dokumentiert werden, ebenfalls sollte nachprüfbar dokumentiert werden, welche eigenen Bemühungen vorgenommen wurden, um Ausfälle und Verspätungen zu minimieren, insbesondere ob Ersatzbeschaffungen möglich und zumutbar waren etc. Auch sollten bestehende Versicherungen auf ihre Anwendung überprüft und ggf. bestehende Notfallpläne für Lieferketten kurzfristig in Betrieb gesetzt werden.