Die COVID-19 – Pandemie hat große Auswirkungen auf die internationalen Lieferbeziehungen deutscher Unternehmen. Die vertraglichen Lieferpflichten von Vertragspartnern aus dem Ausland können z.B. wegen vorsorglicher Betriebsschließungen des Lieferanten am Produktionsstandort aufgrund von Ansteckungen der Mitarbeiter mit dem COVID-19 – Virus, staatlicher Schutzmaßnahmen (z.B. Quarantäneanordnungen) oder eines Mangels ausreichender Zulieferteile aufgrund von Problemen in der eigenen Zulieferkette gefährdet sein. Erfolgt die Lieferung wegen Produktions- oder Transportproblemen im Zusammenhang mit dem COVID-19 – Virus nicht termingerecht oder fällt gänzlich aus, so stellt sich die Frage nach den rechtlichen Folgen und Ansprüchen für den deutschen Käufer.
„Force Majeure“ / Höhere Gewalt
Viele internationale Lieferverträge enthalten sog. Force Majeure – Klauseln. Hierdurch können die Leistungspflichten des betroffenen Unternehmens zeitweise ausgesetzt werden oder sogar vollständig entfallen sowie Schadensersatzansprüche ausgeschlossen sein. Höhere Gewalt bzw. Force Majeure ist ein von außen kommendes, d.h. betriebsfremdes, unvorhersehbares, auch durch äußerste Sorgfalt und mit zumutbaren Mitteln nicht abwendbares Ereignis. Entscheidend für die Beantwortung der Frage, ob im Einzelfall eine Verletzung der Lieferpflicht aufgrund des COVID-19 – Virus gegeben und damit Ansprüche des Käufers suspendiert oder ausgeschlossen sind, ist die Formulierung der konkreten Vertragsklausel. Vielfach sind dort als Beispielsfälle Höherer Gewalt z.B. Seuchen, Pandemien oder Quarantänemaßnahmen explizit vorgesehen. Es kommt dann im Einzelfall darauf an, wie sich die COVID-19 –Pandemie im konkreten Fall auf das Zulieferunternehmen und die vertraglich geschuldete Lieferung ausgewirkt haben und ob alle zumutbaren Maßnahmen seitens des Zulieferers zur Sicherung der Lieferfähigkeit ergriffen worden sind (z.B. Auslagerung der Produktion, Lufttransport statt Transport auf dem Seeweg).
UN-Kaufrecht
Fehlt es an einer solchen vertraglichen Regelung, ist zu klären, welches Recht auf den Vertrag Anwendung finden soll. Üblicherweise haben die Parteien das anwendbare Recht ausdrücklich vereinbart. Soll danach z.B. deutsches Recht gelten und haben die Parteien nicht explizit anderes geregelt, so gilt vorrangig das sog. UN-Kaufrecht (CISG), sofern der Vertragspartner aus einem der anderen 83 Vertragsstaaten dieses UN-Abkommens (einschließlich z.B. China, Italien, Spanien, Südkorea, USA) stammt. Nach dem UN-Kaufrecht (Art. 79 CISG) entfällt für den Lieferanten eines internationalen Kaufvertrags die Haftung für ein außerhalb seines Einflußbereichs liegendes, unvorhersehbares und unvermeidbares Leistungshindernis. Neben Naturkatastrophen sind hierunter nach deutscher Rechtsprechung im Einzelfall auch Epidemien und Seuchen wie die COVID-19 – Pandemie zu fassen. Insoweit können Schadensersatzansprüche ausgeschlossen sein. Diese gegenüber dem deutschen Zivilrecht weite Befreiung nach dem UN-Kaufrecht ist für Zulieferunternehmen von Vorteil.
Deutsches Zivilrecht
Nach deutschem Zivilrecht kann die Verpflichtung zur Erbringung der vertraglich vereinbarten Lieferung zeitweise entfallen, wenn diese für ihn durch die Auswirkungen der COVID-19 – Pandemie vorübergehend unmöglich oder unzumutbar ist (§ 275 BGB). Davon unabhängig ist prüfen, ob möglicherweise Schadensersatzansprüche bestehen. Hinzuweisen ist insbesondere auf Fälle, in denen der Vertragspartner seine Lieferpflichten deshalb nicht erfüllt, weil wiederum sein Vorlieferant aufgrund Höherer Gewalt/ Force Majeure ihn nicht beliefern kann. Ohne eine entsprechende vertragliche Regelung trägt der Zulieferer üblicherweise das Risiko der rechtzeitigen Beschaffung der von ihm benötigten Vormaterialien oder -produkte. Somit ist die Berufung auf Force Majeure für den Zulieferer in diesen Fällen vielfach ausgeschlossen und es bestehen Schadensersatzansprüche. Dies ist unter der Geltung des UN-Kaufrechts und vieler ausländischer, insbesondere angelsächsischer Rechtsordnungen unter Umständen anders. Diese gehen von einem weiteren Anwendungsbereich der Force Majeure aus.
Anpassung oder Beendigung des Liefervertrages
Schließlich kann sich für eine Vertragspartei das Recht ergeben, eine Anpassung des Liefervertrages wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 Abs. 1 BGB) zu verlangen, z.B. die Verlängerung von Lieferfristen oder die Erhöhung des Kaufpreises, oder sogar den Vertrag zu beenden. Dieses Recht setzt allerdings voraus, dass eine Durchführung des Vertrages für eine Seite unzumutbar ist, da sich die Rahmenbedingungen nach Vertragsabschluss unvorhersehbar und schwerwiegend verändert haben. Das Recht ist aber auf extreme Ausnahmefälle beschränkt. Solche werden hier kaum vorliegen, da die Herstellung und Lieferung der vertraglichen Produkte in den Risikobereich des Zulieferunternehmens fällt und es deshalb an einem krassen Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung fehlt.
Informationspflichten
Sollte eine Verzögerung oder ein Ausfall der Lieferung wegen Höherer Gewalt drohen, so ist der Lieferant nach dem UN-Kaufrecht und zumeist auch nach vertraglichen Force Majeure – Klauseln verpflichtet, den Vertragspartner (Kunden) umfassend über die Art und das Ausmaß der Verzögerung unverzüglich zu informieren, damit sich dieser auf die Situation einstellen und einen möglichen Schaden mindern kann. Im Übrigen ergibt sich eine solche Unterrichtungspflicht nach deutschem Recht wohl zumindest als vertragliche Nebenpflicht des Lieferanten zum Schutz des Vertragspartners. Eine Verletzung dieser Informationspflichten kann zu Schadensersatzansprüchen führen.
Versicherung
Kommt es wegen der verzögerten oder ausgefallenen Lieferung aus dem Ausland zu Schäden beim deutschen Käufer, könnten die sich daraus ergebenden Schäden gegebenenfalls durch eine bestehende Versicherung abgedeckt sind. Die Versicherungen sind vielfältig; sie umfassen je nach Ausgestaltung des Vertrages auch den Ersatz entgangenen Gewinns oder von Rückwirkungsschäden, falls solche Schäden im Zusammenhang mit den Zulieferern in den Versicherungsschutz einbezogen worden sind. Ob und in welchem Umfang Versicherungsschutz besteht, kann nur mittels der konkreten Versicherungsunterlagen geprüft werden. In jedem Fall sollte darauf geachtet werden, dass der Versicherungsnehmer alle Obliegenheiten unter dem Versicherungsvertragsverhältnis einhält, insbesondere den Versicherer über einen potentiellen Versicherungsfall informiert.
Fazit
Deutsche Unternehmen sollten kurzfristig die vertraglichen Regelungen mit ihren ausländischen Zulieferunternehmen prüfen und ermitteln, welche Rechte und Pflichten in Bezug auf die Lieferungen bestehen. Sofern ausländisches Recht auf den Liefervertrag anzuwenden ist, können wir Ihnen gerne die erforderlichen Informationen über unsere Partnerkanzleien unseres internationalen Netzwerkes beschaffen.
Daneben ist auf eine ausreichende Dokumentation zum Nachweis des Vorliegens bzw. Nichtvorliegens eines Ereignisses Höherer Gewalt zu achten. Dies betrifft behördliche Verlautbarungen und Verfügungen wie die Errichtung von Quarantänezonen oder Nachweise über temporäre Unterbrechungen des internationalen Frachtverkehrs. Vereinzelt stellen staatliche Einrichtungen auch sog. Force Majeure-Bescheinigungen aus (in China z.B. durch das China Council for the Promotion of International Trade, CCPIT).
In zukünftig abzuschließende Lieferverträge sollte aus Gründen der Rechtssicherheit eine Force-Majeure-Klausel aufgenommen werden, die auch die Folgen des Eintritts Höherer Gewalt regelt.
Sollten Sie weitere Informationen zu konkreten Fällen benötigen, beraten wir Sie gerne.