Neuste Entwicklungen zum Verfall von Urlaubsansprüchen

§ 7 Abs. 3 Bundesurlaubsgesetz (BurlG), der den Verfall des Urlaubsanspruchs regelt, ist und bleibt ein ständiges Sorgenkind des Bundesarbeitsgerichts (BAG). Erneut musste sich dieses mit der Frage auseinandersetzen, wann Urlaubsansprüche bei langzeiterkrankten Arbeitnehmern verfallen.

Ausgangslage

Die Frage schien geklärt, nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit Ur­teil vom 22. November 2011 (Az. C-214/10) entschieden hatte, dass der Verfall des Urlaubsanspruchs 15 Monate nach dem En­de des Ur­laubs­jah­res im Falle einer Langzeiterkrankung des Arbeitnehmers mit Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie in Einklang steht.

Die Diskussion entflammte allerdings von neuen, als der EuGH mit Urteil vom 6. November 2018 (Az.: C-684/16) entschied, dass § 7 Abs. 3 BUrlG dahingehend europarechtskonform auszulegen sei, dass Urlaubsansprüchen grundsätzlich nur dann verfallen, wenn der Arbeitgeber hierauf zuvor ausdrücklich hingewiesen hat. Entsprechend hat das BAG in der Folge entschieden, dass der Verfall von Urlaub nur eintreten könne, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer „zuvor konkret aufgefordert hat, den Urlaub zu nehmen und ihn klar und rechtzeitig darauf hingewiesen hat, dass der Urlaub anderenfalls mit Ablauf des Urlaubsjahres oder Übertragungszeitraumes erlischt.“ Kommt der Arbeitgeber dieser Hinweispflicht nicht nach, verfallen offene Urlaubsansprüche nicht, sondern treten zum laufenden Urlaubsanspruch hinzu. Hierdurch droht ein unendliches Ansammeln von Urlaub.

Hierzu vertrat das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm mit Urteil vom 24. Juni 2019 (Az. 5 Sa 676/19) die Auffassung, dass eine dahingehende Belehrung nur dann Sinn ergäbe, wenn der Arbeitnehmer auch tatsächlich in der Lage ist, auf diese zu reagieren und den Urlaub tatsächlich zu nehmen. Bei langfristig erkrankten Arbeitnehmern bedürfe es daher keinen entsprechenden Hinweis. In dem der Entscheidung des LAG zugrundeliegenden Fall verlangte der Kläger die Feststellung, dass ihm Resturlaubsansprüche auch noch 15 Monaten nach Abschluss des Kalenderjahres zustehen. Sein Arbeitgeber habe ihn weder aufgefordert Urlaub zu nehmen, noch darauf hingewiesen, dass dieser anderenfalls verfalle. Seinen Urlaub konnte der Kläger aufgrund längerer Arbeitsunfähigkeit nicht nehmen.

Ähnliche gelagert war der Fall, mit dem sich das Hessische LAG (Az. 9 Sa 145/17) auseinandersetzen musste. Hier konnte der Kläger seinen Urlaub aufgrund des Bezuges einer Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht mehr nehmen.

In einem dritten Verfahren vor dem LAG Düsseldorf (Az. 10 Sa 180/19) verlangte die Klägerin eine Abgeltung von Urlaubsansprüchen aus den Jahren 2013 bis 2016. Auch hier hatte der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheit verletzt. Zentral stellte sich hier die Frage, ob – wegen des unterbliebenen Hinweises – nicht verfallene Urlaubsansprüche den allgemeinen Verjährungsfristen unterliegen.

Fragestellung

Das BAG hat dem EuGH mit Vorlagebeschluss vom 7. Juli 2020 (Az. 9 AZR 245/19 (A) und Az. 9 AZR 401/19 (A)) und 29. September 2020 (Az. 9 AZR 266/20 (A)) die Frage zur Klärung vorgelegt, ob das Unionsrecht den Verfall des Urlaubsanspruchs nach Ablauf der 15-Monatsfrist oder gegebenenfalls einer längeren Frist auch dann gestattet, wenn der Arbeitgeber im Urlaubsjahr seine Mitwirkungsobliegenheit nicht erfüllt, obwohl der Arbeitnehmer den Urlaub bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zumindest teilweise hätte nehmen können.

Ebenso möchte das BAG geklärt wissen, ob Urlaubsansprüche, die wegen des unterbliebenen Hinweises nicht gem. § 7 Abs. 3 BurlG verfallen sind, der Verjährung gemäß §§ 194 Abs. 1, 195 BGB unterliegen.

Fazit

Es bleibt abzuwarten, wie der EuGH in den vorgelegten Fällen entscheiden wird. Bis zu einer Entscheidung des EuGH sollten Sie folgendes beachten:

Da nicht vorhersehbar ist, ob und wann ein Arbeitnehmer arbeitsunfähig wird, muss grundsätzlich von einer Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers ausgegangen werden. Erkrankt der Arbeitnehmer erst im Verlauf eines Jahres, hätte der Arbeitgeber zumindest bis zum Eintreten der Arbeitsunfähigkeit Gelegenheit gehabt, den Arbeitnehmer auf die Inanspruchnahme bzw. den Verfall des Urlaubs hinzuweisen. Anders dürfte dies zwar dann zu beurteilen sein, wenn der Arbeitnehmer das gesamte Urlaubsjahr über arbeitsunfähig erkrankt ist, weil in diesem Fall die Nichtinanspruchnahme des Urlaubs nicht auf der Verletzung der Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers beruht, sondern alleine aufgrund der andauernden Arbeitsunfähigkeit.

Um ein Ansammeln von Urlaubstagen in großer Zahl zu verhindern, sollten Arbeitgeber daher in jedem Fall ihre Mitwirkungsobliegenheit – auch bei langzeiterkrankten Arbeitnehmern – frühzeitig erfüllen. Sollte der EuGH die Verjährung von Urlaubsansprüchen, die wegen des unterbliebenen Hinweises nicht gem. § 7 Abs. 3 BurlG verfallen sind, für unvereinbar mit Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie halten, könnten sich Arbeitgeber anderenfalls mit hohen Abgeltungsansprüchen konfrontiert sehen.