Kein „Mindesthaltsbarkeitsdatum“ für die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagments (bEM)

Hintergrund

Es ist zwischenzeitlich in Personalabteilungen weithin bekannt, dass krankheitsbedingten Kündigungen sog. innerbetriebliche bEM-Verfahren (betriebliches Eingliederungsmanagement) vorausgehen sollten, um auf Arbeitgeberseite Nachteile im späteren Kündigungsschutzverfahren zu vermeiden. So wurde das bEM quasi zum Pflichtprogramm im Vorfeld einer personenbedingten Kündigung. Unklar waren bislang verschiedene Details; unter anderem die Frage, wie lange ein bEM-Verfahren vor Kündigungsausspruch zurückliegen darf, wenn es in der Zwischenzeit wieder relevante Krankheitszeiten gab.

Das LAG Düsseldorf hatte in seinem Urteil vom 9. Dezember 2020 über die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten ordentlichen Kündigung zu entscheiden und eine dieser Fragen geklärt. Der Entscheidung lag der typische Fall zugrunde, dass der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer, der über Jahre hinweg immer wieder länger erkrankt und hierdurch arbeitsunfähig war, ordentlich kündigte. Gegen diese Kündigung erhob der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage. Begründet wurde die Klage unter anderem damit, dass der Arbeitgeber unmittelbar vor Ausspruch der Kündigung kein bEM mehr angeboten habe und so nicht alles versucht worden sei, um seinen Arbeitsplatz zu erhalten. Dem hielt der Arbeitgeber entgegen, dass ein bEM durchgeführt wurde, das zum Zeitpunkt der Kündigung noch keine zwölf Monate zurücklag. Dies sei für die Wirksamkeit einer Kündigung völlig ausreichend.

Nach § 167 Abs. 2 SGB IX ist der Arbeitgeber zur Durchführung eines bEM verpflichtet, wenn einer seiner Mitarbeiter im Laufe der vergangenen zwölf Monate länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig war. Ziel des bEM ist es herauszufinden, auf Grund welcher gesundheitlicher Beeinträchtigungen es zu den bisherigen Ausfallzeiten des Mitarbeiters gekommen ist und welche Möglichkeiten beispielsweise durch Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder Unterstützungsmaßnahmen bestehen, die Arbeitsunfähigkeitszeiten für die Zukunft zu verringern. Hierdurch soll der Arbeitsplatz des betroffenen Mitarbeiters möglichst dauerhaft gesichert werden.

In der Praxis stellt sich jedoch im Fall einer Kündigung für den Arbeitgeber regelmäßig die Frage, wann und unter welchen Voraussetzungen der Arbeitgeber ein solches bEM vor dem Ausspruch der Kündigung (erneut) durchführen muss.

Die Entscheidung des LAG Düsseldorf

Das LAG Düsseldorf setzte sich in seiner Entscheidung vom 9. Dezember 2020 intensiv mit dieser Frage auseinander und entschied, dass grundsätzlich vor dem Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung vom Arbeitgeber erneut ein bEM durchzuführen ist, wenn der betroffene Mitarbeiter nach dem Abschluss des ersten bEM innerhalb eines Jahres erneut länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig wird. Das bEM hat nach Auffassung des Gerichts kein „Mindesthaltbarkeitsdatum“. Dies ergebe sich aus der Auslegung des Gesetzes und dem Sinn und Zweck des bEM. Diesem umfassenden Schutzzweck würde es widersprechen, wenn die Durchführung eines bEM anzahlmäßig auf ein Verfahren innerhalb eines Jahres begrenzt wäre.

Fazit und Ausblick

Das LAG Düsseldorf konkretisiert die Arbeitgeberpflichten und erhöht damit den Aufwand, der im Vorfeld eine Kündigung zu betreiben ist. Arbeitgeber sollten vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung prüfen, wie lange das letzte bEM zurückliegt und in welchem Umfang seit dessen Abschluss neue Arbeitsunfähigkeitszeiträume aufgetreten sind. Es muss darauf geachtet werden, ggf. nochmals ein bEM durchzuführen, wenn der betroffene Mitarbeiter wieder zumindest sechs Wochen arbeitsunfähig erkrankt war. Andernfalls sind erhebliche Nachteile im Hinblick auf die Darlegungs- und Beweislast im späteren Kündigungsschutzverfahren zu erwarten.

Das LAG Düsseldorf hat in dem Urteil die Revision zugelassen. Es bleibt also abzuwarten, ob das Bundesarbeitsgericht diese Rechtsprechung bestätigt oder einen anderen Weg einschlägt. Nach unserer Auffassung ist eher damit zu rechnen, dass die Gesetzesauslegung des LAG Düsseldorf bestätigt wird.