Hinweisgeberschutz auf Grundlage der EU-Whistleblower-Richtlinie – Was gilt für deutsche Unternehmen und was ist zu tun?

Am 17. Dezember 2021 ist die Frist zur Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie (EU-Richtlinie 2019/1937 vom 23. Oktober 2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden), abgelaufen. Ein deutsches Umsetzungsgesetz ist noch nicht in Sicht. Die Große Koalition konnte sich in der letzten Legislaturperiode auf den von Seiten des Bundesjustizministeriums vorgelegten Referentenentwurf eines Hinweisgeberschutzgesetzes (HinSchG-E) nicht mehr verständigen. Bei vielen Unternehmen besteht Unsicherheit, wie rechtlich mit dieser Situation umzugehen ist. Der Beitrag skizziert, was gilt und was jetzt zu tun ist.

Grundsätzlich keine unmittelbare Geltung der Richtlinie für private Unternehmen

Insbesondere verschiedene Dienstleister für Hinweisgeberschutzsysteme erwecken auf ihren Internetseiten den Eindruck, die EU-Whistleblower-Richtlinie gelte seit dem 18.12.2021 auch für private Unternehmen unmittelbar. Anders als EU-Verordnungen bedürfen Richtlinien europarechtlich jedoch einer Umsetzung in nationales Recht durch ein entsprechendes nationales Gesetz. Die unmittelbare Geltung von Richtlinien nach Ablauf der Umsetzungsfrist wird von der Rechtsprechung allenfalls gegenüber Behörden sowie staatlichen oder staatsnahen Organisationen und Einrichtungen unter bestimmten Voraussetzungen bejaht (s. zuletzt BGH, Urteil vom 29.01.2020, VIII ZR 80/18). In Betracht kommt allerdings auch zwischen Privaten im Falle eines Rechtsstreits nach Ablauf der Umsetzungsfrist eine richtlinienkonforme Auslegung schon bestehender Verpflichtungen, jedenfalls bei der Meldung von Verstößen gegen EU-Recht. Die Geschäftsleitung ist daher gut beraten, im Rahmen ihres Leitungsermessens zur Einrichtung eines Hinweisgeberschutzsystems auch den Vorgaben der EU-Whistleblower-Richtlinie Beachtung zu schenken.

Whistleblower-Hotline als Bestandteil einer sorgfaltsgemäßen Compliance-Organisation

Die Einrichtung eines Hinweisgebersystems als Bestandteil einer sorgfaltsgemäßen Compliance-Organisation entspricht darüber hinaus zwischenzeitlich gutem Standard. So heißt es etwa in der Anregung A.2 des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) schon seit längerem: „Beschäftigten soll auf geeignete Weise die Möglichkeit eingeräumt werden, geschützt Hinweise auf Rechtsverstöße im Unternehmen zu geben; auch Dritten sollte diese Möglichkeit eingeräumt werden.

Hinsichtlich der Frage, wie ein geeignetes Hinweisgeberschutzsystem aussehen könnte, enthält die EU-Whistleblower-Richtlinie sehr konkrete Anforderungen und Verfahrensvorgaben, so etwa zum Schutz der Vertraulichkeit, zur Dokumentation und zu Bearbeitungsfristen. Unternehmen ab 50 Mitarbeitern sollen verpflichtet sein, ein Hinweisgeberschutzsystem einzurichten. Hinweisgeber sollen zudem umfassend vor Entlassungen oder Benachteiligungen geschützt werden. Es steht zu erwarten, dass der deutsche Gesetzgeber sich bei der Ausgestaltung eng an den Vorgaben der Richtlinie orientieren wird.

Koalitionsvertrag der Ampelregierung und Ausblick

Die Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie in nationales Recht ist in dieser Legislaturperiode zeitnah zu erwarten. Der Koalitionsvertrag der Ampelregierung hat sich hierzu ausdrücklich positioniert: „Wir setzen die EU-Whistleblower-Richtlinie rechtssicher und praktikabel um. Whistleblowerinnen und Whistleblower müssen nicht nur bei der Meldung von Verstößen gegen EU-Recht vor rechtlichen Nachteilen geschützt sein, sondern auch von erheblichen Verstößen gegen Vorschriften oder sonstigem erheblichem Fehlverhalten, dessen Aufdeckung im besonderen öffentlichen Interesse liegt. […].“ – Koalitionsvertrag 2021, S. 111.

Mit der Neuauflage eines Hinweisgeberschutzgesetzes in Deutschland ist daher in Kürze zu rechnen. Die Ankündigung im Koalitionsvertrag geht zudem über den eigentlichen Anwendungsbereich der Richtlinie hinaus: Es wird klargestellt, dass in Deutschland nicht nur Verstöße gegen Unionsrecht vom Hinweisgeberschutz erfasst sein werden. Es ist deshalb davon auszugehen, dass ein künftiges deutsches Hinweisgeberschutzgesetz auch die Meldung von Verstößen gegen rein nationale Vorschriften erfassen wird – zumindest dann, wenn diese straf- oder bußgeldbewehrt sind und ihre Aufdeckung daher im öffentlichen Interesse liegt.

Fazit

Bevor die Ampelregierung einen neuen Gesetzesentwurf vorlegt, bleibt die künftige Ausgestaltung des deutschen Hinweisgeberschutzgesetzes im Einzelnen offen. Dennoch sollten sich Unternehmen schon jetzt mit der Frage befassen, wie der Hinweisgeberschutz in ihre Organisation rechtskonform integriert oder bestehende Meldesysteme an aktuelle gesetzliche Anforderungen angepasst werden können. Die EU-Whistleblower-Richtlinie enthält hinreichend konkrete Vorgaben, um als Orientierung zu dienen. Wer ganz sichergehen möchte, sollte entsprechende Maßnahmen schon jetzt ergreifen und nach Inkrafttreten einer gesetzlichen Regelung lediglich nachjustieren, soweit erforderlich. Auch mitbestimmungs- und datenschutzrechtliche Vorgaben sind bei der Umsetzung zu beachten.

Gerne prüfen wir mit Ihnen und für Sie, welche Ausgestaltung des Hinweisgeberschutzes für Ihr Unternehmen am besten passt. Sollten Sie Fragen zu diesem Beitrag haben, kontaktieren Sie uns gerne: v.berger@melchers-law.com.

Veranstaltungshinweis

Zur Orientierung für Interessierte bieten wir am 11. März 2022 ein Online-Seminar zur EU-Whistleblower-Richtlinie an. Das Anmeldeformular und nähere Informationen finden Sie hier.