EuGH: Auf ältere Verträge zwischen Privatpersonen können die Mindestsätze der HOAI weiterhin angewendet werden

2006 verabschiedete die Europäische Union die sogenannte Dienstleistungsrichtlinie. Die verbindlichen Mindest- und Höchstsätze der HOAI für Architekten und Ingenieure waren nicht mit dieser Richtlinie vereinbar. Dies stellte der Europäische Gerichtshof (EuGH) bereits 2019 fest (Urteil vom 04.07.2019 – C-377/17). Die HOAI wurde daraufhin vom deutschen Gesetzgeber geändert – allerdings erst zum 01.01.2021. Der EuGH hatte nun auf Anfrage des Bundesgerichtshofes (BGH) darüber zu entscheiden, ob die in der alten Fassung der HOAI 2013 vorgesehenen Mindestsätze auf alte Verträge zwischen Privatpersonen, die vor dem 01.01.2021 geschlossen wurden, weiterhin angewendet werden können (Urteil vom 18.01.2022 – C-261/20).

Sachverhalt

Im Jahr 2016 schlossen eine Immobiliengesellschaft und ein Ingenieur einen Ingenieurvertrag. Für die Leistungen wurde ein Pauschalhonorar vereinbart, dass unterhalb der geregelten Mindestsätze der HOAI lag. Nach Kündigung des Vertrages rechnete der Ingenieur seine Vergütung nach den in der alten Fassung der HOAI festgelegten Mindestsätzen ab. Zu diesem Zweck erhob er Klage (sogenannte Aufstockungsklage). Der BGH legte im Rahmen dieses Rechtsstreits dem EuGH die Frage vor, ob die Mindestsätze der alten HOAI 2013 aufgrund des Verstoßes gegen die Dienstleistungsrichtlinie auf ältere Verträge zwischen Privatpersonen weiterhin angewendet werden können.

Entscheidung

Die Mindestsätze können nach dem EuGH weiterhin auf alte Verträge zwischen Privatpersonen angewendet werden, auch wenn die verbindliche Regelung gegen die Dienstleistungsrichtlinie verstoße. Dies begründet er unter anderem damit, dass eine EU Richtlinie – anders als eine EU-Verordnung – keine Verpflichtungen für einzelne Personen begründen könne. Vielmehr verpflichte sie nur die Mitgliedsstaaten. Diese haben die EU-Richtlinien in nationales Recht umzusetzen. Ein nationales Gericht sei daher in einem Rechtsstreit zwischen Privatpersonen nicht verpflichtet, allein aufgrund eines Verstoßes gegen eine EU-Richtlinie die Mindestsätze der HOAI nicht anzuwenden.
Etwas Anderes gelte auch nicht aufgrund des obigen Urteils des EuGH aus dem Jahre 2019. In diesem hatte der EuGH festgestellt, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Pflicht aus der Dienstleistungsrichtlinie verstoßen habe. Diese habe es versäumt, die HOAI und die dort festgelegten Mindest- und Höchstsätze nach Erlass der Dienstleistungsrichtlinie zu ändern. Das Urteil diente laut dem EuGH aber vor allem der Feststellung der Verletzung des Staates. Es verleihe Einzelnen keine Rechte. Folglich sei ein nationales Gericht auch nicht aufgrund dieses Urteils verpflichtet, die Mindestsätze der HOAI nicht anzuwenden. Das Gericht könne aber die Anwendung aufgrund nationaler gesetzlicher Regelungen ausschließen.
Die Mindestsätze der HOAI seien daher auf alte Verträge, die vor dem 01.01.2021 zwischen Privatpersonen geschlossen wurden, anwendbar.
Darüber hinaus könne eine betroffene Partei Ersatz von der Bundesrepublik Deutschland für den Schaden verlangen, der dieser aufgrund der unterlassenen Umsetzung der Richtlinie entstanden sei.

Praxishinweise

Auf Basis der Entscheidung des EuGH muss nun der BGH über den bei ihm anhängigen Aufstockungsfall entscheiden. Es ist zu vermuten, dass sowohl der BGH als auch die Instanzgerichte bei Aufstockungsklagen zwischen Privaten bei Altverträgen (wieder) das zwingende Preisrecht der HOAI berücksichtigen werden.
Für Verträge, die ab dem 01.01.2021 geschlossen wurden bzw. geschlossen werden, gelten keine verbindlichen Honorarsätze mehr. Die Honorartafeln der HOAI 2021 stellen vielmehr unverbindliche Orientierungswerte dar. Diese werden nun als „Basishonorarsatz“ (anstatt „Mindestsatz“) und „oberer Honorarsatz“ (anstatt „Höchstsatz“) bezeichnet. Grundsätzlich bedürfen Honorarvereinbarungen nach der HOAI 2021 zur Wirksamkeit der Textform (§126b BGB). Für den Fall, dass keine Vereinbarung über die Höhe des Honorars getroffen oder die Textform nicht eingehalten wurde, gelten die Basishonorarsätze.