Digitalisierung und Internationalisierung: Das deutsche Schiedsverfahrensrecht erneuert sich

Das Bundesjustizministerium hat am 1. Februar 2024 einen Referentenentwurf vorgelegt, der das Ziel verfolgt, das Schiedsverfahrensrecht zu modernisieren und Deutschland als Schiedsstandort attraktiver zu machen. Doch werden diese Änderungen den Anforderungen der Praxis gerecht?

Formfreiheit bei Schiedsvereinbarungen im Handelsverkehr

Der Referentenentwurf sieht vor, die derzeitigen Formvorschriften für Schiedsvereinbarungen für die Fälle aufzuheben, in denen die Schiedsvereinbarung für alle Parteien ein Handelsgeschäft ist. Die Schiedsvereinbarung könnte dann formlos geschlossen werden, was deren Abschluss jedenfalls im Wirtschaftsverkehr erheblich erleichtern würde. Auf den ersten Blick erscheinen Formerleichterungen begrüßenswert.

In der Praxis dürften sich jedoch diverse Probleme ergeben:

Mit Blick auf das Ziel einer internationaleren Ausrichtung dürften das Erfordernis eines „Handelsgeschäfts“, welches unmittelbar an die Kaufmanneigenschaft anknüpft, zu Schwierigkeiten führen. Denn der Entwurf verweist nicht auf die handelsrechtlichen Definitionen. Im Ausland dürfte die Regelung mit Blick auf die Begriffe „Handelsgeschäft“ und „Kaufmann“ nicht ohne Weiteres verständlich sein.

Bei ausländischen Gesellschaften dürfte ohnehin fraglich sein, auf welcher Basis (nach deutschem Handelsrecht?) deren Kaufmannseigenschaft zu beurteilen wäre.

Mit der Abschaffung jeglicher Formvorschriften ginge zudem ein gewisses Missbrauchsrisiko einher. Ein staatliches Verfahren könnte dadurch verzögert werden, dass eine Partei den mündlichen Abschluss einer Schiedsvereinbarung behauptet. Künftig wäre daher anzuraten, auch die Entscheidung gegen eine Schiedsvereinbarung festzuhalten.

Trotz der geplanten Formerleichterungen wird man in der Praxis auch künftig empfehlen, Schiedsvereinbarungen schon zu Nachweiszwecken zu verschriftlichen. Dies auch vor dem Hintergrund, dass Schiedsvereinbarungen in aller Regel nicht nur die Zuständigkeit des Schiedsgerichts an sich, sondern auch Fragen zur Durchführung des Schiedsverfahrens (z.B. Schiedsinstitution, Zahl der Schiedsrichter und Schiedsort) regeln.

Stärkere Transparenz durch die Veröffentlichung von Schiedssprüchen

Eine weitere Neuerung soll die Möglichkeit der Veröffentlichung von Schiedssprüchen in anonymisierter oder pseudonymisierter Form bringen. Dies soll die Transparenz im Schiedsverfahren erhöhen und zu einer Fortentwicklung des Rechts beitragen. Die stellt zwar einen Schritt hin zu mehr Offenheit in der Schiedsgerichtsbarkeit dar. Bedenklich ist aber, dass die Parteien einer Veröffentlichung aktiv widersprechen müssten, wenn eine Veröffentlichung nicht gewollt ist. Das Schiedsgericht muss hierzu die Parteien zur Zustimmung auffordern und zugleich darauf hinweisen, dass ohne Widerspruch innerhalb eines Monats die Zustimmung als erteilt gilt.

Dieser Grundsatz steht im Widerspruch dazu, dass sich Schiedsparteien oftmals gerade wegen der Vertraulichkeit für Schiedsverfahren entscheiden. Aus Sicht von Schiedsparteien wäre es daher zu begrüßen, wenn der Grundsatz dahingehend umgekehrt würde, dass es einer aktiven Zustimmung zur Veröffentlichung bedarf.

Digitalisierung der Verfahren durch Videoverhandlungen

Der Referentenentwurf trägt der digitalen Revolution Rechnung, indem Videoverhandlungen in Schiedsverfahren ausdrücklich zugelassen werden sollen. Diese Flexibilisierung spiegelt den Bedarf der modernen Geschäftswelt wider und ermöglicht eine effizientere Abwicklung von Verfahren. Der große Wurf ist das aber nicht. Denn Videoverhandlungen sind auch nach geltendem Recht möglich und spielen in institutionellen Schiedsverfahren bereits heute eine wesentliche Rolle (etwa bei Verfahrensmanagementkonferenzen).

Englisch als Verfahrenssprache in Commercial Courts

Künftig sollen wesentliche Prozesse wie die Bestellung oder Ablehnung von Schiedsrichtern, die Prüfung der Zulässigkeit von Schiedsverfahren, sowie die Aufhebung oder Vollstreckung von Schiedssprüchen in englischer Sprache durchführbar sein. Vor allem die Commercial Courts, die für internationale Streitigkeiten vorgesehen sind, werden hierbei eine zentrale Rolle spielen.

Die Landesregierungen sollen ermächtigt werden, die Rahmenbedingungen für die Durchführung solcher Verfahren in Englisch festzulegen. Bedingung hierfür soll die Zustimmung der Parteien zur Verfahrenssprache sein. Eine Garantie, den gesamten Rechtsweg bis zum BGH auf Englisch durchzuführen, soll es aber nicht geben. Vielmehr soll der BGH jederzeit anordnen können, dass das Verfahren auf Deutsch fortgeführt wird.

Darüber hinaus sieht der Entwurf vor, dass in Verfahren, die auf Deutsch geführt werden, englischsprachige Dokumente vorgelegt werden können. Übersetzungen soll das Gericht nur in Ausnahmefällen verlangen können.

Obwohl der Entwurf keine durchgängige Verfahrensführung auf Englisch sichert, ist die geplante Zuständigkeit der Commercial Courts für schiedsrechtliche Verfahren ein positiver Schritt in Richtung Internationalisierung des Justizstandorts Deutschland.

Benennung der Schiedsrichter in Mehrparteienschiedsverfahren

Mit den Regelungen zur Benennung von Schiedsrichtern in Mehrparteienschiedsverfahren soll eine praxisrelevante Lücke geschlossen werden, besonders für ad hoc-Verfahren. Bislang sind die Regelungen primär auf Konstellationen mit nur einem Kläger und einem Beklagten ausgelegt. Der Entwurf bringt Klarheit für Fälle, in denen mehrere Parteien auf einer Seite des Verfahrens stehen, ohne dabei den Regeln der Streitgenossenschaft des staatlichen Gerichtsverfahrens zu folgen.

Zwei Schlüsselfragen werden im Referentenentwurf behandelt: Erstens, ob Streitgenossen gemeinsam einen Schiedsrichter benennen müssen – eine Praxis, die bereits weitgehend bejaht wird. Zweitens, wie bei Uneinigkeit unter den Streitgenossen eine Ersatzbestellung von Schiedsrichtern abläuft. Hier bietet der Entwurf eine flexible Lösung: Das zuständige Gericht hat das Ermessen, entweder nur den fehlenden Schiedsrichter der Streitgenossen oder beide parteibenannten Schiedsrichter zu bestimmen.

Sondervoten bei Schiedssprüchen

Der Referentenentwurf sieht vor, dass Schiedsrichter ihre abweichenden Meinungen in Form von Sondervoten festhalten dürfen, was bislang ein Risiko für die Gültigkeit von Schiedssprüchen darstellen kann. Diese Klarstellung erhöht die Transparenz des Entscheidungsprozesses und bringt das deutsche Recht in Einklang mit international geltenden Praktiken.

Fazit

Die Reforminitiative des Bundesjustizministeriums, den Schiedsstandort Deutschland zu stärken, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Der vorgestellte Referentenentwurf für das Schiedsverfahrensrecht enthält zahlreiche positive Aspekte, darunter fortschrittliche Neuerungen sowie essenzielle Präzisierungen. Zugleich zeigt der Entwurf einige Bereiche auf, die einer weiteren Feinabstimmung bedürfen. Die bevorstehenden Beratungen und das gesetzgeberische Verfahren sollten dazu genutzt werden, diese Defizite anzugehen. Bei sorgfältiger und zielgerichteter Überarbeitung könnte die Reform einen entscheidenden Beitrag zur Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands als Standort für Schiedsverfahren leisten.