Die neuen Regelungen zur virtuellen Hauptversammlung

Die virtuelle Hauptversammlung für Aktionäre war für die Zeit der Coronavirus-Pandemie zunächst ein Provisorium. Zum 31. August 2022 liefen die Regelungen aus. Der Gesetzgeber hat allerdings rechtzeitig nachgelegt: Am 7. Juli 2022 hat der Bundestag das Gesetz zur Einführung virtueller Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften (BT-Drucks. 20/2653) beschlossen und damit dauerhaft die Möglichkeit zur virtuellen Abhaltung geschaffen. Zum vorangegangenen Regierungsentwurf hatte mein Kollege Michael Usselmann im Blog-Beitrag vom 16. März 2022 berichtet. Die wesentlichen Änderungen des Gesetzes sind seit dem 27. Juli 2022 in Kraft und gelten zugleich für die KGaA, die SE und den Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG):

Erfordernis einer Satzungsregelung

Dreh- und Angelpunkt der Neuregelungen ist der neu eingefügte § 118a AktG: Hiernach kann die Satzung der Gesellschaft entweder generell vorsehen oder den Vorstand dazu ermächtigen, vorzusehen, dass die Versammlung ohne physische Präsenz der Aktionäre oder ihrer Bevollmächtigten am Ort der Hauptversammlung abgehalten wird (virtuelle Hauptversammlung).

Die Möglichkeit zur Abhaltung einer virtuellen Hauptversammlung besteht damit nicht von Gesetzes wegen, sondern muss auf Grundlage einer Satzungsregelung für die jeweilige Gesellschaft geschaffen werden. Für Hauptversammlungen, die bis einschließlich zum 31. August 2023 einberufen werden, ist allerdings eine Übergangsregelung vorgesehen: Danach kann der Vorstand auch ohne entsprechende Satzungsgrundlage bis zum Ablauf der Übergangsfrist mit Zustimmung des Aufsichtsrats weiterhin entscheiden, die Versammlung als virtuelle Hauptversammlung abzuhalten (§ 26n EGAktG).

Die Satzungsregelung bezüglich der Ermächtigung zur Abhaltung virtueller Hauptversammlungen ist zudem auf einen Zeitraum von maximal 5 Jahren nach Eintragung zu befristen. Die Befristung wird mit einer Stärkung der Aktionärsrechte begründet: Die Aktionäre sollen in regelmäßigen Abständen erneut über das virtuelle Format entscheiden können.

Keine Beschränkung der Tagesordnung

Anders als noch im Regierungsentwurf vorgesehen, enthält das Gesetz keine Einschränkungen mehr im Hinblick auf die Tagesordnung. Die virtuelle Hauptversammlung kann damit sämtliche Beschlussgegenstände einer Präsenzversammlung abdecken. Hauptversammlungen können demnach künftig gleichwertig sowohl als Präsenzveranstaltung, als hybride oder als rein virtuelle Versammlung durchgeführt werden.

Anforderungen an die virtuelle Abhaltung, Aktionärsrechte, Beschlussanfechtung

Für die Abhaltung der virtuellen Hauptversammlung sind allerdings von Gesetzes wegen folgende Voraussetzungen zu beachten:

  • die gesamte Versammlung ist mit Bild und Ton zu übertragen;
  • die Stimmrechtsausübung der Aktionäre ist im Wege elektronischer Kommunikation, namentlich über elektronische Teilnahme oder elektronische Briefwahl, sowie über Vollmachtserteilung zu ermöglichen;
  • den elektronisch zu der Versammlung zugeschalteten Aktionären ist das Recht einzuräumen, Anträge und Wahlvorschläge im Wege der Videokommunikation in der Versammlung zu stellen;
  • den Aktionären ist ein Auskunftsrecht nach § 131 AktG im Wege elektronischer Kommunikation einzuräumen;
  • den Aktionären ist zudem das Recht einzuräumen, Stellungnahmen im Wege elektronischer Kommunikation einzureichen;
  • schließlich ist den zugeschalteten Aktionären ein Rederecht in der Versammlung sowie ein Recht zum Widerspruch gegen einen Beschluss der Hauptversammlung im Wege der Videokommunikation zu gewähren.

Im Einzelnen gelten allerdings Einschränkungen:

Der Vorstand kann bei virtueller Abhaltung u.a. vorgeben, dass Fragen der Aktionäre zu konkreten Tagesordnungspunkten bis spätestens drei Tage vor der Versammlung im Wege der elektronischen Kommunikation einzureichen sind (§ 131 Abs. 1a AktG). Der Umfang der Einreichung von Fragen kann in der Einberufung angemessen beschränkt werden, z.B. auf eine bestimmte Zeichenanzahl. Die Gesellschaft hat ordnungsgemäß eingereichte Fragen vor der Versammlung allen Aktionären zugänglich zu machen und bis spätestens einen Tag vor der Versammlung zu beantworten. Durch die Regelung soll letztlich die Versammlung selbst entlastet werden.

Sofern Fragen vor der Hauptversammlung einzureichen waren, wird den Aktionären ein weitergehendes Fragerecht nur noch im Hinblick auf Sachverhalte eingeräumt, die sich erst nach Ablauf der Frist zur Frageneinreichung ergeben haben. Ein Nachfragerecht besteht lediglich zu allen vor und in der Versammlung gegebenen Antworten des Vorstands. Der Versammlungsleiter kann zudem festlegen, dass das Auskunftsrecht, das Nachfragerecht und das Fragerecht in der Hauptversammlung ausschließlich im Wege der Videokommunikation ausgeübt werden dürfen.

Mit dem erstmals vorgesehenen Recht der Aktionäre, Stellungnahmen zu den Tagesordnungspunkten einzureichen, möchte der Gesetzgeber der Tatsache Rechnung tragen, dass die Kommunikation bei einer virtuellen Hauptversammlung teilweise anders verläuft als bei der Abhaltung in Präsenz. Stellungnahmen sind bis spätestens 5 Tage vor der Versammlung einzureichen und den anderen Aktionären zugänglich zu machen (§ 130a AktG).

Für einen technisch störungsfreien Ablauf kann die Gesellschaft sich in der Einberufung zur Hauptversammlung vorbehalten, die Funktionsfähigkeit der Videokommunikation zwischen Aktionär und Gesellschaft in der Versammlung und vor dem Redebeitrag zu überprüfen und diesen zurückzuweisen, sofern die Funktionsfähigkeit nicht sichergestellt ist (§ 130 Abs. 6 AktG).

Eine Beschlussanfechung kann schließlich auf die durch eine technische Störung verursachte Verletzung von Aktionärsrechten nur gestützt werden, wenn der Gesellschaft grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz vorzuwerfen ist. Die Satzung kann allerdings einen strengeren Verschuldensmaßstab vorsehen (§ 243 Abs. 3, Abs. 4 AktG).

Teilnahme der Organmitglieder, des Versammlungsleiters und sonstiger Personen

Die Mitglieder des Vorstands sollen am Ort der Hauptversammlung an der virtuellen Versammlung teilnehmen. Entsprechendes gilt für die Mitglieder des Aufsichtsrats, sofern deren Teilnahme nicht auf Grundlage einer entsprechenden Satzungsregelung im Wege der Bild- und Tonübertragung erfolgen darf.

Der Versammlungsleiter und, sofern der Jahresabschluss und ggf. der Konzernabschluss durch einen Abschlussprüfer zu prüfen sind, der Abschlussprüfer, haben am Ort der Hauptversammlung teilzunehmen; insoweit besteht also eine Verpflichtung. Ein von der Gesellschaft benannter Stimmrechtsvertreter kann am Ort der Hauptversammlung teilnehmen.

Zugänglichmachung von Unterlagen

Ist gesetzlich bestimmt, dass Unterlagen in der Hauptversammlung zugänglich zu machen sind, so sind die Unterlagen den der Hauptversammlung elektronisch zugeschalteten Aktionären während des Zeitraums der Versammlung über die Internetseite der Gesellschaft oder über eine diesen zugängliche Internetseite eines Dritten zugänglich zu machen. Dies gilt also insbesondere im Hinblick auf den Jahres- und ggf. Konzernabschluss, den Lagebericht, den Vorschlag des Vorstands über die Verwendung des Bilanzgewinns sowie den Bericht des Aufsichtsrates an die Aktionäre u.a.

Sofern der Vorstand von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, das Fragerecht der Aktionäre insoweit einzuschränken, als Fragen nur vorab im Wege der elektronischen Kommunikation eingereicht werden können, besteht eine Veröffentlichungspflicht des Vorstandsberichts sieben Tage vor der Hauptversammlung.

Fazit:

Die Möglichkeit, nunmehr auch außerhalb von Pandemiezeiten auf die virtuelle Hauptversammlung als Option zurückgreifen zu können, ist uneingeschränkt zu begrüßen. Die jetzt gültigen Regelungen nähern die virtuelle Hauptversammlung der Präsenzversammlung weitestgehend an. Das Erfordernis einer Satzungsregelung als Ermächtigungsgrundlage legt die Entscheidung darüber, ob grundsätzlich von der virtuellen Hauptversammlung Gebrauch gemacht werden kann, in die Hände der Aktionäre. Bereits die Gesetzesbegründung stellte fest, dass die Möglichkeit der virtuellen Teilnahme zu steigenden Teilnehmerzahlen und zu einer besseren Vorbereitung der Aktionäre auf die Hauptversammlung geführt hat. Dass Fragen auch im Vorfeld der Hauptversammlung eingereicht werden können, hat aus Sicht des Gesetzgebers zu einer besseren Antwortqualität beigetragen. Insgesamt ist daher zu hoffen, dass die mit der virtuellen Hauptversammlung für Gesellschaften und Aktionäre gewonnene Flexibilität auch hinsichtlich Qualität und Nutzen der Hauptversammlung jedenfalls nicht hinter dem Präsenzformat zurückbleibt.

Gesellschaften, die für sich die virtuelle Abhaltung der Hauptversammlung weiterhin in Betracht ziehen wollen, sollten bereits jetzt den erforderlichen Tagesordnungspunkt für die nach § 118a AktG notwendige Satzungsänderung bezüglich der Ermächtigung zur Abhaltung einer virtuellen Hauptversammlung im Blick haben, um auch nach dem Ende der Übergangsregelung auf diese Option zurückgreifen zu können. Inwieweit und für welche Gesellschaften sich die jetzt geregelte Konzeption der virtuellen Hauptversammlung, etwa mit Blick auf die Mitwirkungsmöglichkeiten der Aktionäre, in der Praxis bewährt und eignet, muss sich dann zeigen.

Das Format bietet als Nebeneffekt jedenfalls die Chance für Kosteneinsparungen sowohl auf Seiten der Gesellschaft wie auch seitens der Aktionäre und führt womöglich auch zu einer Reduzierung des ökologischen Fußabdrucks. Schlussendlich trägt die dauerhafte Einführung der virtuellen Hauptversammlung der zunehmenden Digitalisierung sämtlicher Kommunikation weiter Rechnung.

Bei Fragen oder Anregungen zu diesem Beitrag kontaktieren Sie mich gerne unter v.berger@melchers-law.com.