Bauen in Zeiten der Corona-Krise (SARS-CoV-2): Was Auftraggeber und Auftragnehmer jetzt wissen müssen

Die Bauwirtschaft ist nicht vor den Einflüssen der Corona-Krise gefeit und wird sich unvermeidlich mit den Folgen beschäftigen müssen. Dabei entstehen Fragen, die sich auf bestehende und/oder zukünftige Verträge beziehen.

Rechtliche Bedeutung der Corona-Krise

Die Corona-Krise wird rechtlich als sog. „höhere Gewalt“ angesehen.
„Höhere Gewalt“ bzw. „Force Majeure“ stellt ein betriebsfremdes Ereignis dar, welches keiner Sphäre einer der Parteien eines Vertrages zuzuordnen ist, sondern von außen auf die Lebensverhältnisse oder Allgemeinheit oder einer unbestimmten Vielzahl von Personen einwirkt und objektiv unabwendbar sowie unvorhersehbar ist (BGH, Urt. v. 22.04.2004 – III ZR 108/03, IBRRS 2004, 1107). Die Einordnung der Corona-Krise und die Berufung hierauf löst jedoch nicht automatisch die in diesem Zusammenhang auftretenden Probleme. So kann bereits geringes Verschulden höhere Gewalt ausschließen (BGH NJW 1997, 3018 (3019)). Befindet sich also eine Vertragspartei bereits in Verzug mit der Leistung, dann ist der Einwand der „höheren Gewalt“ grundsätzlich unbeachtlich. Aufgrund der Aktualität ist bisher auch die Heranziehung von baurechtlichen Entscheidungen zu dieser Problematik nicht bzw. nur eingeschränkt möglich. Es hat daher eine einzelfallabhängige Beurteilung stattzufinden. Hierbei sind insbesondere folgende Themenschwerpunkte zu berücksichtigen:

Störungen des Bauablaufs und Auswirkungen auf die Bau- und Planungszeit

Das Corona-Virus führt bereits jetzt zu erheblichen Belastungen in der bau- und planungsrechtlichen Praxis. Dies zeigt sich in unterschiedlicher Art und Weise und betrifft dabei nicht nur den Leistungsbereich des  Auftragnehmers bei Lieferengpässen oder Quarantänevorfällen beim Personal etc., sondern auch den des Auftraggebers, wenn dieser z.B. das Grundstück nicht baureif machen kann, weil das Bauamt Corona bedingt keine Baugenehmigungen erteilt oder sonstige Entscheidungen nicht getroffen werden können. Für diese Fälle sind, falls vorhanden, bestehende vertragliche Regelungen zu berücksichtigen und anzuwenden. Für eine Vielzahl von Verträgen, existieren jedoch keine Regelungen zur „höheren Gewalt“, sodass sich die folgenden Ausführungen insbesondere auf solche Fälle beziehen:

1. Störungen im Leistungsbereich des Auftragnehmers

a) Ausfall der Arbeitskräfte

Der krankheitsbedingte Ausfall von Arbeitskräften oder die (behördliche) Anordnung von Quarantäne-Maßnahmen kann zu Behinderungen des Auftragnehmers in der der Ausführung seiner Leistungen führen.
Das Fernbleiben der Arbeitskräfte allein aus Sorge der Ansteckung kann jedoch nicht dazu führen, dass die Behinderung im Bauablauf durch „höhere Gewalt“ gerechtfertigt ist. Die Aktivierung kostenintensiverer Arbeitskräfte ist dem Auftragnehmer grundsätzlich zuzumuten.
Die Ersatzbeschaffung von Arbeitskräften liegt damit grundsätzlich im Risikobereich des Auftragnehmers. Unterlässt der Auftragnehmer also ohne das Vorliegen „höherer Gewalt“ notwendige und mögliche Maßnahmen schuldhaft, steht dem Auftraggeber grundsätzlich ein  Schadensersatzanspruch wegen der verzögerungsbedingt eingetretenen Kosten zu. Behinderungen bzw. Störungen des Bauablaufs können erst dann wegen „höherer Gewalt“ unverschuldet sein und damit zu einem Ausschluss eines Schadensersatzanspruchs führen. So ist es, wenn z.B. der Ausfall von Arbeitskräften oder eines Nachunternehmers aufgrund von behördlich angeordneten Quarantänemaßnahmen nicht kompensiert werden kann und sich die Wirkung der „höheren Gewalt“ kausal entfaltet.
Lässt sich also das Fernbleiben der Arbeitskräfte oder eines  Nachunternehmers allein auf „höhere Gewalt“ zurückführen, scheidet ein Schadensersatzanspruch des Auftraggebers mangels schuldhafter Pflichtverletzung des Auftragnehmers aus. Dies gilt in einem solchen Fall auch für die Geltendmachung von Vertragsstrafen. Die Verwirkung der Vertragsstrafe setzt stets ein Verschulden (Verzug) voraus, das bei „höherer Gewalt“ fehlt. Liegt dem Vertragsverhältnis die VOB/B zu Grunde, folgt die Verlängerung der Ausführungsfristen bei „höherer Gewalt“ schon aus den vertraglichen Vereinbarungen (§ 6 Abs. 2 c. VOB/B). Aber auch bei BGB Verträgen kommt der Auftragnehmer nicht in Verzug, wenn ihn – wie z.B. bei höherer Gewalt – kein Verschulden an der Verzögerung trifft.

b) ausbleibende Lieferungen von Material und/oder Baugeräte

Vorstehende Ausführungen finden auch Anwendung, wenn Behinderungen bzw. Störungen im Bauablauf durch Schwierigkeiten bei Materiallieferungen oder der Beschaffung von Baugeräten eintreten.
Auch hier ist entscheidend, ob das Ausbleiben von Material oder der Geräte kausal auf das Corona-Virus zurückzuführen ist oder auf einer Pflichtverletzung des Auftragnehmers (z.B. unzureichende Materiallager, kein Bemühen um Ersatzlieferungen) beruht. Auch an dieser Stelle ist dem Auftragnehmer grundsätzlich zuzumuten, bei der Bereitstellung (erhebliche) Preissteigerungen in Kauf zu nehmen, um die Leistungspflichten zu erfüllen.

2. Störungen im Leistungsbereich des Auftraggebers

a) Unterlassung von Mitwirkungshandlungen

Auch den Auftraggeber treffen elementare Pflichten, wie beispielsweise Kooperationspflichten sowie das zur Verfügung stellen eines baureifen Grundstücks bzw. der zur Bereitstellung von notwenigen Vorleistungen. Diese Pflichten können durch das Corona-Virus ebenfalls gestört sein.
Dabei kommt es für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen darauf an, ob die Störung durch den Auftraggeber verschuldet wurde oder durch äußere und damit nicht beherrschbare Einflüsse (Corona-Virus) eingetreten ist. Wird eine Mitwirkungspflicht des Auftraggebers ausschließlich wegen des Einflusses des Corona-Virus nicht erfüllt, scheidet ein Schadensersatzanspruch des Auftragnehmers mangels Verschulden des Auftraggebers aus (bspw. § 6 Abs. 6 VOB/B). Für Entschädigungsansprüche wegen unterlassener Mitwirkungshandlungen nach § 642 BGB kommt es auf ein Verschulden grundsätzlich nicht an. Die von vielen Teilen vertretende enge Auslegung dieser Vorschrift führt zu folgendem Ergebnis: Hat der Auftraggeber eine Mitwirkungshandlung (z.B. Bereitstellen eine baureifen Grundstücks) vorzunehmen und erfüllt er diese Handlung nicht (z.B. weil der Architekt Corona bedingt keinen Antrag auf Baugenehmigung gestellt hat), dann ist er dennoch dem Auftragnehmer zur Zahlung der Vorhaltekosten für Personal und Baugeräten zzgl. der Zuschläge für AGK, Wagnis und Gewinn verpflichtet, wenn der Auftragnehmer leistungsbereit und leistungsfähig war. Die teilweise befürwortete weite Auslegung knüpft daran an, ob die hindernden Umstände in der Mitwirkungssphäre des Auftraggebers ruhen oder nicht. Bei nicht beherrschbaren äußeren Einflüssen (Corona-Virus), soll eine Haftung des Auftraggebers ausscheiden. Die Auswirkungen von „höherer Gewalt“ auf den Entschädigungsanspruch sind also umstritten. Im Einzelfall ist daher stets auch zu klären, ob es sich bei der unterlassenen Handlung um eine Handlung handelt, die der Auftraggeber nach dem Vertrag obliegt bzw. ob er dieses Risiko, was daraus folgt mit dem Vertrag übernommen hat.

b) arbeitsrechtliche Folgen der Corona-Krise für den Auftraggeber

Die Mitwirkungspflichten des Auftraggebers hängen auch von der Einsatzfähigkeit der eigenen Mitarbeiter ab. Die Berücksichtigung von arbeitsrechtlichen Gesichtspunkten kann daher großen Einfluss auf das baurechtliche Vertragsverhältnis haben. Welche Rechte und Pflichten den Auftraggeber als Arbeitgeber im Verhältnis zu seinen Mitarbeitern treffen, hat unsere Praxisgruppe Arbeitsrecht zusammengestellt.

c) Behördliche Anordnungen

Auch behördliche Anordnungen können zu den zuvor beschriebenen Rechtsfolgen führen. Behördliche Anordnungen können beispielsweise zu Quarantänemaßnahmen gegenüber dem Personal führen, Baustellen in Risikogebieten betreffen, den Warenverkehr einschränken usw. Auch hier ist zwingend zu unterscheiden, ob Behinderungen durch behördliche  Anordnungen eingetreten sind oder diese auf vom Auftragnehmer oder vom Auftraggeber verschuldeten Pflichtverletzungen beruhen. Führen die behördlichen Anordnungen dazu, dass der Auftraggeber seine Mitwirkungshandlungen nicht erbringen kann, begründet dies bei enger Auslegung dennoch einen  Entschädigungsanspruch des Auftragnehmers. Dies stellt auch hier eine Einzelfallentscheidung dar.

3. Baustopp oder Kündigung?

a) Baustopp wegen Liquiditätsproblemen

Der Auftraggeber als Unternehmer kann sich durch das schnelle Ausbreiten den Corona-Virus zunehmend in einer finanziellen Notlage befinden. Dies könnte und wird vermehrt zu Baustopps führen. An dieser Stelle weisen wir jedoch darauf hin, dass der Auftraggeber dadurch nicht automatisch von der Zahlung befreit ist. Der Auftraggeber kann sich nicht auf den Tatbestand der „höheren Gewalt“ oder die Störung der Geschäftsgrundlage berufen.
Die eigene Zahlungsfähigkeit liegt in der Risikosphäre des Auftraggebers. Auf die Ursache der Zahlungsunfähigkeit bzw. ein Verschulden des Auftraggebers kommt es nicht an.

b) Kündigung der Verträge wegen finanzieller Notlage
  • Kündigung wegen Störung der Geschäftsgrundlage
    Auftraggeber werden sich zudem vermehrt mit der Frage konfrontiert sehen, ob sie aufgrund der finanziellen Notlage bestehende Verträge kündigen können. Die Kündigung kommt als letztes Mittel (Ultima Ratio) nur ausnahmsweise in Betracht. Grundsätzlich hat der Auftraggeber zunächst sämtliche Mittel auszuschöpfen, die ein Aufrechterhalten des Vertrags ermöglichen. Solche Mittel können beispielsweise die Vertragsanpassung beispielsweise durch Leistungsänderung oder terminliche Verschiebungen sein. Nur wenn das zum Vertragsschluss bestandene Risikogefüge nicht mehr hergestellt werden kann, kann in wenigen Einzelfällen die Kündigungsmöglichkeit in Betracht kommen.
  • Kündigungen aus wichtigem Grund
    Sowohl das BGB, als auch die VOB/B setzen für eine außerordentliche
    Kündigung jedoch voraus, dass der kündigenden Partei unter  Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur Fertigstellung des Werks nicht zugemutet werden kann. Zudem bietet bei der Vereinbarung der VOB/B bei Bauverträgen § 8 Abs. 2 VOB/B weitere Möglichkeiten der Kündigung bei (drohender) Insolvenz des   Auftragnehmers. Wann eine außerordentliche Kündigung wirksam oder unwirksam ist, kann sehr unterschiedlich beurteilt werden. An dieser Stelle besteht aufgrund dieser Unsicherheit ein erhebliches Risiko, dass eine außerordentliche Kündigung unwirksam ist, weshalb auch stets im Einzelfall geprüft werden sollte, ob auch andere Kündigungsgründe vorliegen. Sollte der Auftragnehmer eine unwirksame außerordentliche Kündigung aussprechen, hätte der Auftraggeber seinerseits die Möglichkeit den Vertrag außerordentlich zu kündigen.

In beiden Fällen bestehen erhebliche Risiken, sodass wir bei einer gewünschten Kündigung dringend zu einer einzelfallbezogenen anwaltlichen Beratung raten.

c) Kündigung wegen Baustillstand

Bei VOB/B Verträgen kann jede Partei nach § 6 Abs. 7 VOB/B bei einer Unterbrechung des Bauvorhabens von mehr als 3 Monaten den Vertrag kündigen. Auch hier raten wir dringend vor Kündigung zu einer rechtlichen Beratung.

4. Empfehlungen für die nächste Zeit

Für bestehende Verträge sollten Sie bei Beeinträchtigung und/oder Störungen zeitnah eine Prüfung der Sachlage vornehmen. Was ist die Ursache der Bauablaufstörung, des Lieferengpasses oder des Verzugs. Befand sich die andere Partei gar schon in Verzug mit der Leistung und kann sich deshalb schon nicht auf „höhere Gewalt“ berufen?
Anschließend sollten Sie die rechtliche Prüfung vornehmen oder vornehmen lassen, damit Beeinträchtigungen gegenüber dem Geschäftspartner angezeigt oder angemahnt werden können.

Für den Auftragnehmer empfiehlt sich die bekannte Behinderungsanzeige, wenn er sich in der Ausführung seiner Leistungen behindert sieht und die hindernden Umstände nicht in seinem Risikobereich liegen. Dies gilt z.B. für die Fälle, in denen bauseitige Vorunternehmer oder Planer ihre Leistungen nicht erbringen oder Mitwirkungshandlungen des Auftraggebers nicht erbracht werden.

Für den Fall der eigenen Betroffenheit gilt es zunächst zu prüfen, ob nicht in zumutbarer Weise Abhilfe geschaffen werden kann. Können Leistungen aufgrund behördlicher Vorgaben und Anordnungen nicht erbracht werden, sollte dies dem Auftraggeber angezeigt und begründet werden. So vermeiden Sie spätere Auseinandersetzungen darüber, ob die Leistungseinstellung nun durch Corona oder eigene Fehler verursacht wurde.

Sofern Ihre eigenen Auftragnehmer ihre Leistungen einstellen, prüfen Sie bitte nach, ob diese Leistungseinstellung wirklich gerechtfertigt war. Sollte dies nicht der Fall sein, dann setzen Sie den Auftragnehmer in Verzug mit der Erfüllung seiner Leistungen.

Für Verträge, die in der nächsten Zeit geschlossen werden, sollte darauf geachtet werden, spezifische Regelungen zur Risikotragung, zur Behandlung von Verzögerungen und entsprechenden Vertragsanpassungen zu vereinbaren. Dies dient dem Schutz beider Seiten. Denn: während bei „Altverträgen“ die Corona-Krise nicht bekannt war und daher die Vertragspartner aufgrund der neuen Lage in gewisser Hinsicht schutzbedürftig sind, sind nun einzelne Schwierigkeiten und Risiken im Zusammenhang mit der Corona-Krise für die Vertragspartner bekannt und damit in gewisser Weise Geschäftsgrundlage.

Bitte beachten Sie, dass die vorstehenden Ausführungen nur eine zusammenfassende Beurteilung darstellen. Für eine rechtssichere Beurteilung empfehlen wir Ihnen eine individuelle Beratung und
Begutachtung vorzunehmen zu lassen. Gerne können Sie uns hierzu kontaktieren.

Und ganz wichtig: bleiben Sie besonnen und vor allem gesund!