Unwirksamkeit der mängelbedingten Kündigung vor Abnahme gem. § 4 Abs. 7 S.3 VOB/B – Was nun?

Falls die VOB/B nicht als Ganzes vereinbart wurde, kann die  Wirksamkeit einzelner Klauseln gem. §310 Abs. 1 S. 3 BGB überprüft werden. Diese Überprüfung ist möglich, sobald auch nur in einzelnen Punkten von der VOB/B abgewichen wird. Dies gilt unabhängig des Gewichts des Eingriffes in die VOB/B. Kontrovers wurde in der Vergangenheit dabei insbesondere die Wirksamkeit der Regelung zu den „Mängelrechten“ vor der Abnahme, wie sie in § 4 Abs. 7 VOB/B geregelt sind, diskutiert. Während mehrere Oberlandesgerichte § 4 Abs. 7 S. 3 VOB/B in AGB des Auftraggebers bislang als wirksam erachteten, wurde bereits seit Jahren in der Literatur die Wirksamkeit des § 4 Abs. 7 VOB/B in AGB des Auftraggebers überwiegend angezweifelt. Nun hatte der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 19.01.2023 (Az. VII ZR 34/20) diese Streitfrage zu klären.

Sachverhalt

Die Auftraggeberin beauftragte die Auftragnehmerin als Nachunternehmerin für Straßen- und Tiefbauarbeiten im Wert von ca. EUR 3.000.000,00. Vereinbart wurde die Geltung der VOB/B. Die in der VOB/B festgelegte Verjährungsfrist der Gewährleistungsansprüche wurde jedoch abgeändert, die VOB/B damit nicht als Ganzes vereinbart.Während der Bauausführung rügte die Auftraggeberin u.a. die Qualität des verbauten Betons. Sie forderte die Auftragnehmerin mehrfach unter Fristsetzung zur Mangelbeseitigung (Kosten ca. EUR 6.000,00) auf und drohte die Kündigung an. Nach Fristablauf kündigte die Auftraggeberin den Vertrag. Die Auftragnehmerin begehrt mit der Klage die Zahlung des Restwerklohns. Die Auftraggeberin begehrt widerklagend – unter anderem – die Kosten der Ersatzvornahme und stützt sich hierbei auf Ihre Rechte nach § 4 Abs. 7 VOB/B.

Entscheidung

Der Auftraggeber kann die Kosten nicht ersetzt verlangen. § 4 Abs. 7 S. 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 Var. 1 VOB/B sei in diesem Fall unwirksam! Sofern die VOB/B nicht als Ganzes vereinbart wurde, benachteilige die Kündigungsregelung wegen Mängeln vor Abnahme den Auftragnehmer unangemessen. § 4 Abs. 7 S. 3 VOB/B schaffe die Möglichkeit, auch wegen unwesentlicher Mängel zu kündigen. Dies stehe im Widerspruch dazu, dass die Abnahme nur bei wesentlichen Mängeln verweigert werden dürfe. Entsprechend zur Kündigung aus wichtigem Grund sei zudem auch ein berechtigtes Interesse des Auftraggebers an der vorzeitigen Vertragsbeendigung erforderlich. Ansonsten könne der Auftraggeber „bis zur Grenze des Rechtsmissbrauchs“ kündigen. Durch die einseitige Vertragsgestaltung würde der Auftraggeber missbräuchlich seine eigenen Interessen auf Kosten seines Auftragnehmers durchsetzen können, ohne dass dem Auftragsnehmer ein entsprechender Ausgleich zugestanden würde.

Praxishinweis

Sobald auch nur kleine Veränderungen an der VOB/B vorgenommen werden, ist zwingend Vorsicht geboten. Dies gilt insbesondere für Auftraggeber, die den Vertrag und somit auch die VOB/B stellen. Wenn Verträge (weiterhin) Abweichungen von der VOB/B enthalten sollen, ist daher dringend zu empfehlen, eine Klausel zu vereinbaren, welche § 4 Abs. 7 S. 3 VOB/B weitestgehend ersetzt und entsprechend modifiziert. Ansonsten ist der Auftraggeber auf die gesetzlichen Vorschriften angewiesen. Die besondere Schwierigkeit hierbei ist, das richtige Maß zwischen den Interessen beider Parteien zu treffen, so dass die Klausel zwar dem Auftraggeber ein möglichst frühes Eingreifen bei Mängeln ermöglicht, aber dennoch den Anforderungen des Bundesgerichtshofes genügt. Bei Fragen zu der Umsetzung des Urteils des Bundesgerichtshofes wenden Sie sich gerne an unser Team für privates Bau- und Architektenrecht.