Neues zur patentrechtlichen Zwangslizenz für Arzneimittel

So einfach geht es dann doch nicht: Auch wenn der Bundesgerichtshof („BGH“) in seiner Raltegravir-Entscheidung (Urteil vom 11. Juli 2017, Az. X ZB 2/17) das Tor zur Erteilung von patentrechtlichen Zwangslizenzen für Arzneimittel weit aufgestoßen hat, bedeutet das nicht, dass Lizenzsucher ohne Weiteres hindurchgehen können. Um Einlass zu erhalten, müssen Lizenzsucher vielmehr darlegen, dass sie sich in der Vergangenheit ernsthaft um eine Lizenz bemüht haben und ein Bedürfnis für die Erteilung der Lizenz besteht. In seiner Praluent/Alirocumab-Entscheidung vom 6. Juni 2019 (Az. X ZB 2/19; Entscheidungsgründe bislang noch nicht veröffentlicht) hat der BGH nunmehr aufgezeigt, welche Anstrengungen von Lizenzsuchern erwartet werden dürfen, wenn diese um eine Zwangslizenz nachsuchen (§ 24 Abs. 1 PatG).

Sachverhalt

Die Lizenzsucher (mehrere Unternehmen des Schweizer Sanofi-Konzerns) vertrieben in Deutschland das Arzneimittel Praluent, dessen Wirkstoff Alirocumab die Hemmung des PCSK9-Proteins und damit eine Verringerung des Cholesterinwerts im Blut bewirkt. Die Lizenzsucher wurden von der Inhaberin des europäischen Patents EP 2 215 124 (Amgen Inc. aus den USA), welches antigenbindende Proteine gegen das Protein PCSK9 betrifft, wegen Patentverletzung gerichtlich auf Unterlassung der Herstellung und des Vertriebs von Praluent in Anspruch genommen. Da die Patentinhaberin in Deutschland ein eigenes Arzneimittel namens Repatha anbietet, das unter anderem das Anwendungsgebiet von Praluent umfasst, vergebe sie Lizenzen nur, wenn dies im Einzelfall unter außergewöhnlichen Umständen geboten sei.

Nachdem der zwischenzeitlich ausgesetzte Verletzungsrechtsstreit angesichts einer positiven Validitätsprognose des Europäischen Patentsamts fortgesetzt und Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt wurde, baten die Lizenzsucher die Patentinhaberin kurzerhand um die Erteilung einer Lizenz. Die Lizenzsucher boten eine Lizenzgebühr in Höhe von 2 % der in Deutschland mit Praluent erzielten Nettoerlöse an. Hierauf teilte die Patentinhaberin umgehend mit, dass sie die Angelegenheit noch prüfen werde, hierfür jedoch Zeit benötige. Ungefähr eine Woche nach dieser Mitteilung erhoben die Lizenzsucher Klage auf Erteilung einer Zwangslizenz beim Bundespatentgericht („BPatG“) und beantragten zugleich, ihnen einstweilen die Weiterbenutzung der streitgemäßen Erfindung zu gestatten (§ 85 Abs. 1 PatG). Das BPatG wies den Antrag jedoch ab. Das von den Lizenzsuchern hiergegen erhobene Rechtsmittel blieb vor dem BGH erfolglos.

Entscheidungsgründe

Der BGH urteilte, die Lizenzsucher hätten sich bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung im Zwangslizenzverfahren nicht für einen angemessen langen Zeitraum (erfolglos) um eine Lizenz bemüht – worauf es aber nach der Raltegravir-Rechtsprechung ankomme. Vielmehr hätten die Lizenzsucher ein Lizenzgesuch „gewissermaßen erst in letzter Minute“ (so schon das BPatG) eingereicht; zwischen dem Lizenzangebot und der Zwangslizenzklageeinreichung lagen lediglich 3 Wochen. Da (i.) die Patentinhaberin selbst ein Produkt vertreibe und (ii.) in der Vergangenheit bereits deutlich gemacht habe, eine Lizenz, wenn überhaupt, nur unter besonderen Umständen erteilen zu wollen, und (iii.) der von den Lizenzsuchern angebotene Lizenzsatz nur gering war, hätten die Lizenzsucher nicht davon ausgehen dürfen, dass eine Lizenz demnächst und ohne Weiteres erteilt werde.

Ferner bestehe kein öffentliches Interesse an der Erteilung einer Zwangslizenz. Eine gegenüber Rapatha bestehende überlegene therapeutische Eigenschaft von Praluent, die z.B. darin liegen könnte, dass die Sterblichkeitsrate bei Patienten, die mit einem PCSK9-Hemmer behandelt werden, sinke, sei nicht glaubhaft gemacht worden. Daher könne eine Nichtverfügbarkeit von Praluent durch das im Wesentlichen gleichwertige Rapatha ausgeglichen werden.

Schlussfolgerungen

Wer als Patentverletzer sich im Verletzungsprozess mit dem Zwangslizenz-Einwand verteidigen möchte, sollte gut hierauf vorbereitet sein. Wer bloß „zwischen Tür und Angel“ um eine Lizenz nachsucht, wird vor dem BPatG schlechte Karten haben. Vielmehr sollten (Zwangs-)Lizenzsucher bereits im Vorfeld zweierlei berücksichtigen: 1. Hat das Arzneimittel eine überlegene therapeutische Wirkung zur Behandlung schwerer Krankheiten, die andere, bereits auf dem Markt verfügbare Mittel nicht haben? 2. Wurden/Werden mit dem Patentinhaber Verhandlungen geführt, die sowohl in zeitlicher als auch inhaltlicher Hinsicht auf ein ernsthaftes Bemühen des Patentverletzers um eine Lizenz schließen lassen? Nur wer beides glaubhaft darlegen kann, sollte den Gang zum BPatG wagen.