Das „Überstundendilemma“ – Fristlose Kündigung wegen Arbeitszeitbetrug

Die Erfassung und Aufzeichnung der Arbeitszeit steht derzeit durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 14. Mai 2019 (C-55/18) im Mittelpunkt der arbeitsrechtlichen Diskussion. Aber auch in kündigungsrechtlicher Hinsicht weist die Arbeitszeiterfassung Konfliktpotenzial auf – insbesondere dann, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitszeit unzutreffend erfasst. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte sich mit Urteil vom 13. Dezember 2018 (2 AZR 370/18) mit einem Fall vorsätzlich falsch ausgefüllter Überstundenformulare auseinanderzusetzen:

Der langjährig bei der beklagten Stadt beschäftigte Arbeitnehmer war seit 2010 als Abteilungsleiter der Fahr- und Sonderdienste im Eigenbetrieb Nationaltheater tätig. In dieser Funktion übernahm er insbesondere Planungs- und Überwachungsaufgaben. Die Arbeitgeberin sah wegen dieses neu übertragenen Aufgabenkreises keine Veranlassung mehr, die vor Ernennung zum Abteilungsleiter gezahlten tariflichen Erschwerniszuschläge weiterzuzahlen. Die beim Nationaltheater tätige Personalreferentin erklärte dem Arbeitnehmer in Anwesenheit seines fachlichen Vorgesetzten, dass der bisher gezahlte Zuschlagsbetrag etwa sieben Überstunden monatlich entspreche und der durch Aufschreiben dieser Überstunden erzielbare Betrag den Verlust der Zuschläge ausgleichen könne. In der Folge gab der Arbeitnehmer im Zeitraum von 2012 bis 2017 in den Überstundenformularen tatsächlich nicht geleistete Überstunden an. Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis nach Kenntniserlangung und Aufklärung des Sachverhalts im Jahr 2017 fristlos.

Das BAG hat die außerordentliche Kündigung – anders als noch die Vorinstanzen – für wirksam gehalten. Der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete und vom Arbeitgeber nur schwer kontrollierbare Arbeitszeit korrekt zu erfassen, sei an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung zu bilden. Ein solcher Verstoß des Arbeitnehmers liege hier in der wiederholten Vorlage der bewusst falsch ausgefüllten Überstundenformulare mit dem Ziel, eine nicht geschuldete Vergütung zu erlangen und so den Wegfall der Erschwerniszuschläge auszugleichen. Das Verhalten des Arbeitnehmers sei nicht durch eine arbeitsvertragliche Vereinbarung abgedeckt, da es der Personalreferentin und dem Vorgesetzten insoweit an einer entsprechenden Vertretungsmacht gefehlt habe. Auch ein unverschuldeter Rechtsirrtum liege nicht vor.

Im Hinblick auf die Interessenabwägung betonte das BAG, dass es nicht auf die strafrechtlichen Strafzumessungskriterien ankomme, da es sich bei der Kündigung nicht um eine Sanktion für vergangenes Unrecht handele, sondern für die Wirksamkeit einer Kündigung die Prognose störungsfreier Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses im Vordergrund stehe. Berücksichtigung fanden zulasten des Arbeitnehmers insbesondere der hohe Verschuldensgrad des Arbeitnehmers, der schwere Vertrauensmissbrauch über einen Zeitraum von fünf Jahren sowie die Vorgesetzten- und Vorbildfunktion des Arbeitnehmers als Abteilungsleiter. Daneben wurde auch das kollusive Zusammenwirken mit der Personalreferentin und dem Vorgesetzten zulasten des Arbeitnehmers in die Interessenabwägung eingestellt. Der Umstand, dass eine effektive Kontrolle und Rückverfolgung einzelner Überstunden aufgrund der Angabe eines monatlichen Überstundengesamtaufkommens – anstatt wie im Überstundenformular vorgesehen nach Tagen differenziert – kaum möglich war, wirkte sich ebenfalls zum Nachteil des Arbeitnehmers aus. Das BAG sah hierin ein systematisches und auf Heimlichkeit angelegtes Verhalten.

Fazit

Die Entscheidung des BAG ist insoweit kaum überraschend, als dass – wie auch grundsätzlich sonst bei Straftaten des Arbeitnehmers zulasten seines Arbeitgebers – sprichwörtlich „keine Gnade“ gezeigt wird. Die Besonderheit dieser Entscheidung liegt aber in der Veranlassung bzw. Billigung der pauschalen und vorsätzlich falschen Überstundendokumentation durch die Personalreferentin und den Vorgesetzten des Arbeitnehmers. Während das Arbeitsgericht in der ersten Instanz hierin noch einen mildernden Umstand sah, berücksichtigte das BAG das Zusammenwirken der Mitarbeiter im Rahmen der Interessenabwägung ausschließlich zum Nachteil des Arbeitnehmers. Die Berufung auf die gezielte Ausnutzung eines Systems, dessen Missbrauchsanfälligkeit durch die Arbeitgeberin selbst begünstigt wurde, erscheint insbesondere unter Compliance-Gesichtspunkten als fragwürdig.

Dem Arbeitgeber ist zwar die Übertragung der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung auf seine Arbeitnehmer möglich. Ihm obliegt insoweit aber eine Überwachungspflicht dahingehend, dass durch organisatorische Maßnahmen überprüft werden muss, ob die Arbeitnehmer der Erfassungspflicht auch tatsächlich umfassend nachkommen. Die Arbeitgeberin hat hier aber über Jahre hinweg die laxe Handhabung der Zeiterfassung durch den Arbeitnehmer geduldet.

Der Berücksichtigung strafrechtlicher Wertungsgesichtspunkte im Rahmen des Kündigungsrechts hat das BAG mit dieser Entscheidung abermals eine klare Absage erteilt – und dies bemerkenswerterweise nicht nur im Hinblick auf den Kündigungsgrund an sich, sondern auch bezüglich der Interessenabwägung.