Das Kammergericht Berlin hat mit seiner Entscheidung vom 12.08.2024 (Az: 2 U 94/21) bestätigt, dass sogenannte „Hinauskündigungsklauseln“ im Rahmen von Vesting-Regelungen für Start-ups wirksam vereinbart werden können. Derartige Gestaltungsmaßnahmen spielen bei Start-Ups insbesondere dann eine Rolle, wenn Investoren Risikokapital beisteuern und gleichzeitig sicherstellen wollen, dass die Gründer weiterhin im Unternehmen mitarbeiten, um den mit dem Investment avisierten Erfolg zu erzielen.
Sachverhalt
Der Kläger war einer von drei Mitgründern eines Start-Ups (zuletzt in der Rechtsform einer GmbH). Von 2012 bis 2017 hatte der Kläger wesentlich zur Entwicklung einer zentralen Unternehmenssoftware beigetragen, wodurch das Unternehmen zunehmend für Investoren attraktiv wurde. Im Jahr 2018 schloss die Gesellschaft ein Investment and Shareholders‘ Agreement mit Investoren ab, die gegen Ausgabe von Gesellschaftsanteilen 1,373 Millionen Euro in das Unternehmen einbrachten.
Im Gegenzug unterwarfen sich die Gründer einem dreijährigen Vesting. Dieses sah vor, dass die Gründer auf Ebene ihrer Holdinggesellschaft eine Ausscheidensregelung treffen mussten, wonach sie bei einer ordentlichen Kündigung ihrer Beschäftigungsverhältnisse innerhalb des ersten Jahres der Vesting-Periode ihre Gesellschafterstellung verlieren sollten.
Nachdem das Anstellungsverhältnis des Klägers durch ordentliche Kündigung beendet worden war, machten die verbleibenden Gründer von ihrer Erwerbsoption Gebrauch und der Kläger schied als Gesellschafter aus. Der Kläger vertrat die Auffassung, die Ausscheidensregelung verstoße gegen die guten Sitten und sei daher unwirksam. Sowohl erstinstanzlich als auch in der Berufung hatte der Kläger keinen Erfolg.
Hintergrund
Nach der Rechtsprechung des BGH sind sog. Hinauskündigungsklauseln, die den übrigen GmbH-Gesellschaftern ermöglichen, einen Mitgesellschafter ohne sachlichen Grund aus der Gesellschaft auszuschließen, grundsätzlich nichtig. Dies gilt nicht nur für derartige Regelungen im Gesellschaftsvertrag, sondern auch vergleichbare schuldrechtliche Vereinbarungen. Der BGH sieht den betroffenen Gesellschafter grundsätzlich als schutzbedürftig an, da dieser die Möglichkeit zu seiner freien Ausschließung als Disziplinierungsmittel empfinden kann. Die wiederum kann ihn davon abhalten, seine Mitgliedschaftsrechte eigenständig auszuüben (sog. „Damoklesschwert“-Argument).
Ausgehend von diesem Grundsatz kann eine Hinauskündigungsklausel ausnahmsweise dann gültig sein, wenn sie aufgrund besonderer Umstände des jeweiligen Einzelfalls sachlich gerechtfertigt ist. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannte Beispiele sind u.a. Beteiligungen nach dem sog. Manager- oder Mitarbeitermodell, die eine Gesellschafterstellung nur für die Zeit der aktiven Mitarbeit im Unternehmen vorsehen. Das Kammergericht leitete die sachliche Rechtfertigung der Hinauskündigungsklausel im konkreten Fall aus den diversen BGH-Entscheidungen zu den Ausnahmefällen ab.
Entscheidung
Den sachlichen Grund zur „Hinauskündigungsmöglichkeit“ sah das Kammergericht für gegeben, wenn Risikokapitalgeber in ein Start-up investieren. In solchen Fällen würden Gründer in aller Regel keine herkömmlichen Sicherheiten bieten, was ihre Abhängigkeit von Risikokapital verstärke. Das Interesse der Investoren an einer solchen Regelung läge auf der Hand: Sie würden sich dem Risiko ausgesetzt sehen, dass das Unternehmen die Start-up-Phase nicht erfolgreich übersteht. Die Investoren würden daher sicherstellen wollen, dass die Gründer sich durch ihren Arbeitseinsatz und ihr Know-how weiterhin voll in das Unternehmen einbringen. Gleichzeitig würde der Vesting-Zeitraum den Investoren die Möglichkeit bieten, die Gründer einer Bewährungsprobe zu unterziehen. Somit müsste nicht bereits im Rahmen der Investmententscheidung mit einem höheren Ausfallrisiko kalkuliert werden. Daher könnte es in der kritischen Anfangsphase eines Start-Ups gerechtfertigt sein, die Gesellschafterstellung eines Gründers mit dessen Engagement für das Unternehmen zu verknüpfen.
Praxistipp
Die Entscheidung unterstreicht die Bedeutung von Vesting-Regelungen als Werkzeug zur Sicherung der Unternehmensentwicklung bei Start-Ups. Bei Vesting-Regelungen, die auch Abfindungen regeln, bleibt offen, ob eine Abfindung zum Nominalpreis angemessen ist. Im Regelfall ist der Verkehrswert abzufinden. Einschränkungen sind nach ständiger Rechtsprechung nicht unbegrenzt zulässig. In der Praxis wird daher oft nach dem Grund des Ausscheidens unterschieden: Bad Leaver erhalten meist nur die Anschaffungskosten, wohingegen bei Good Leavern Abschläge vom Verkehrswert üblich sind. Nichtsdestotrotz ist es ratsam, eine Auffangregelung vorzusehen, die im Ernstfall die niedrigstmögliche Abfindung zur Anwendung bringt.