Das im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geregelte Maßregelungsverbot dürfte sich in Zukunft einer größeren Bekanntheit und Praxisrelevanz erfreuen, wie eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 20. Juni 2019 (C-404/18) zeigt.
Vorlagefrage – Ausgangsrechtsstreit – Entscheidung des EuGH
Der EuGH hatte über die Frage zu entscheiden, ob die Gleichbehandlungs-Richtlinie einer nationalen – in diesem Fall: belgischen – Regelung entgegensteht. Die nationale Regelung sieht den Schutz eines Arbeitnehmers vor Benachteiligungen wegen Unterstützung eines anderen, von Diskriminierung betroffenen Arbeitnehmers nur dann vor, wenn er als Zeuge auftritt und aussagt.
Die Klägerin in besagtem Fall war bei einem Unternehmen als Leiterin eines Bekleidungsgeschäfts in Belgien tätig und führte in dieser Funktion ein Bewerbungsgespräch mit einer Bewerberin für eine Stelle als Verkäuferin. Die Bewerberin gab hier an, im dritten Monat schwanger zu sein. Diese Information gab die Klägerin an die Personalverantwortliche des Unternehmens weiter, woraufhin der Klägerin per E-Mail mitgeteilt wurde, dass man die Bewerberin wegen der Schwangerschaft nicht einstellen wolle. Auch nach einem Hinweis der Klägerin, dass eine Ablehnung der Einstellung wegen Schwangerschaft gesetzlich verboten sei, hielt das Unternehmen an der Ablehnung wegen Schwangerschaft fest. Die Klägerin teilte deshalb der Bewerberin mit, dass ihre Bewerbung wegen ihrer Schwangerschaft nicht erfolgreich gewesen sei. Die Bewerberin legte nach erfolgloser Androhung schließlich Beschwerde gegen diese Entscheidung des Unternehmens ein. In einer Besprechung betreffend die Nichteinstellung der Bewerberin zwischen Unternehmensleitung und der Klägerin wurde letzterer vorgeworfen, der Grund für die einlegte Beschwerde zu sein. Sechs Monate später kündigte das Unternehmen das Arbeitsverhältnis der Klägerin und begründete dies unter anderem mit mangelhafter Ausführung übertragener Aufgaben. Die Klägerin macht vor dem Arbeitsgericht Antwerpen einen Entschädigungsanspruch geltend.
Der EuGH hielt die belgische Regelung, wonach Schutz vor Vergeltungsmaßnahmen nur bei formaler Zeugenstellung der unterstützenden Person gewährt wird, für unvereinbar mit der Gleichbehandlungs-Richtlinie. Arbeitnehmer seien vor einer Benachteiligung durch ihren Arbeitgeber wegen Unterstützung, die sie formell oder informell der Person, die diskriminiert wurde, entgegengebracht haben, zu schützen.
Rechtslage in Deutschland
Der deutsche Gesetzgeber hat die o.g. Vorgaben der Gleichbehandlungs-Richtlinie – auch unter Berücksichtigung dieser EuGH-Rechtsprechung – europarechtskonform in § 16 Abs. 1 AGG umgesetzt. Danach darf der Arbeitgeber Personen nicht wegen der Unterstützung von Arbeitnehmern oder Bewerbern, die ihre Rechte nach dem AGG wegen Benachteiligung wahrnehmen, oder wegen der Aussage als Zeuge benachteiligen. Durch die Verwendung des weiten Oberbegriffs „Unterstützung“ hat der deutsche Gesetzgeber eine unzulässige formalisierende Betrachtung wie in der belgischen Regelung vermieden.
Praxishinweis
Nach deutschem Recht wäre die Kündigung eines Arbeitnehmers, der einen Bewerber bei der Durchsetzung seiner Rechte wegen Diskriminierung unterstützt, wegen Verstoßes gegen das Maßregelungsverbot unwirksam.
Im Streitfall kommt dem Arbeitnehmer dabei eine gesetzliche Beweislastumkehrregelung zugute: Der Arbeitnehmer muss lediglich Indizien beweisen, die einen Verstoß gegen das Maßregelungsverbot vermuten lassen. Es ist dann am Arbeitgeber zu beweisen, dass kein Verstoß vorliegt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) steht dem Arbeitnehmer außerdem bei Verstoß gegen das Maßregelungsverbot ein verschuldensabhängiger Schadenersatzanspruch zu. Ein Entschädigungsanspruch auf Grundlage von § 15 AGG soll dagegen wegen der Wortlautbeschränkung auf Verstöße gegen das Benachteiligungsverbot nicht in Betracht kommen. Insoweit ist aber nicht auszuschließen, dass wegen möglichen Verstoßes gegen die Gleichbehandlungs-Richtlinie – die begrifflich nicht zwischen Benachteiligungsverbot und Maßregelungsverbot unterscheidet – der unterstützenden Person im Wege europarechtskonformer Auslegung ebenfalls ein verschuldensunabhängiger Entschädigungsanspruch zugesprochen werden könnte.