NEUES ZUM „DAS SCHWÄCHSTE GLIED IN DER KETTE“-DOGMA BEI WAFFENSCHRÄNKEN

Ausgangspunkt: Die Entscheidung des OVG Nordrhein-Westfalen

Ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) vom 30.08.2023 (Az. 20 A 2384/20) schlägt noch immer hohe Wellen unter Waffenbesitzern. Das Gericht urteilte im Wesentlichen, dass sich die Aufbewahrung der Schlüssel für Waffenschränke an denselben Sicherheitsstandards zu orientieren habe, wie sie für die Waffenschränke selbst gelten. Als Grund führte das OVG NRW an, dass anderenfalls infolge eines erleichterten Zugriffs auf den Schlüssel das gesamte Sicherheitsniveau der Verwahrung auf dasjenige des Schlüssels (als „schwächstes Glied der Kette“) absinke.
Dieser Rechtsauffassung hat sich zwischenzeitlich auch das Oberverwaltungsgericht Sachsen (OVG Sachsen) angeschlossen (Beschluss vom 18.12.2023, Az. 6 B 61/23).

Zum Hintergrund der Entscheidung

Beide gerichtlichen Entscheidungen wurden ausgelöst durch Einbrüche bei Waffenbesitzern, bei denen Kurzwaffen und Munition abhandenkamen.

Im Falle der Entscheidung des OVG NRW hatte der Waffenbesitzer die Schlüssel zu seinem Waffenschrank der Sicherheitsstufe B nach VDMA 24992 (Stand 1995) in einem anderen Tresor aufbewahrt. Dieser Tresor bestand aus dick- und doppelwandigem Stahl, verfügte über ein Zahlenschloss und war auf den Waffenschrank aufgeklebt. Der Tresor war nicht zertifiziert, genügte also weder Sicherheitsstufe B nach VDMA 24992, noch DIN/EN 1143-1 Widerstandsgrad 0/I.

Im Falle der Entscheidung des OVG Sachsen hatte der Waffenbesitzer den Zweitschlüssel für seinen Waffenschrank in einer Schachtel in einer Ecke einer Schreibtischschublade verwahrt.

Zum Inhalt: Die korrekte Aufbewahrung

Beide Gerichte urteilten, dass die Waffenbesitzer entgegen § 36 Abs. 1 WaffG nicht alle erforderlichen Vorkehrungen getroffen hatten, um ein Abhandenkommen ihrer Kurzwaffen/Munition zu verhindern. Diese Vorkehrungen bestünden zum einen aus technischen Vorkehrungen, zum anderen aus sonstigen Vorkehrungen.

In technischer Hinsicht müsse der (Zweit-)Schlüssel zu einem Waffenschrank in einem Behältnis verwahrt sein, das dasselbe Schutzniveau wie der Waffenschrank hat (§ 36 Abs. 3 bis 6 WaffG, § 13 AWaffV). Weder ein nicht-zertifizierter Tresor, schon gar keine bloße Geldkassette, noch ein Bankschließfach genügten diesen technischen Vorkehrungen.

In sonstiger Hinsicht genüge auch ein Verstecken des (Zweit-)Schlüssels nicht, egal wie gut das Versteck nach subjektiver Auffassung des Waffenbesitzers sei.

Die Auswirkungen: Behördenpraxis in den Ländern und Stellungnahmen beteiligter Kreise

Die Urteile betreffen zunächst vor allem die Waffenbesitzer in Nordrhein-Westfalen und Sachsen. Die dortigen Waffenbehörden haben bereits vereinzelt über das Urteil und die möglichen Auswirkungen informiert. Die Kosten einer etwaig erforderlichen Umstellung, z.B. bei Umrüstung von einem Schlüsselschloss auf ein Zahlenschloss oder ein Biometrie-Schloss, hätten die Waffenbesitzer zu tragen. Hierbei müssten diese beachten, dass eigenständige Umrüstungen womöglich zu einem Verlust der Zertifizierung führen könnten.

In Baden-Württemberg hat das Innenministerium eine Handlungsanweisung für die Waffenbehörden ausgegeben, die sich inhaltlich an der Entscheidung des OVG NRW orientiert.

In Hessen bleibt bislang alles beim Gewohnten. Auch in weiteren Bundesländern scheint es aktuell keine Änderung der Behördenpraxis zu geben. Gleichwohl kommen von dort teilweise Stellungnahmen, die die Schlüsselaufbewahrung als Teil der Waffenaufbewahrung ansehen und zumindest im Rahmen der Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen berücksichtigen wollen würden.

Das Landesverwaltungsamt in Thüringen teilte z.B. mit, dass das Urteil des OVG NRW zwar so nicht in der Thüringer Verwaltungspraxis angewendet werden würde. Dennoch nimmt diese ebenso wie das OVG Sachsen an, dass ein bloßes Verstecken des Schlüssels nicht ausreichend sei.

Womöglich ergibt sich in der nächsten Innenministerkonferenz im Dezember 2024 Neues.

In den beteiligten Kreisen wurde das Urteil des OVG NRW mit Verunsicherung aufgenommen. Zum Teil wurde es als verfassungswidrig bezeichnet.

Belebung der Diskussion durch das OVG Niedersachsen

In Niedersachsen hat das dortige Oberverwaltungsgericht (OVG Nds) in seinem Urteil vom 27.05.2024 (Az. 11 LB 508/23) sich auch mit dem „das schwächste Glied in der Kette“-Argument auseinandergesetzt, ihm aber weder zugestimmt, noch dieses vollständig abgelehnt. Im Kern sei dies zwar gedanklich stringent, würde aber zu letztlich dazu führen, dass eine Aufbewahrung von Schlüsseln zu Waffenschränken zu einer „Endloskette“ an Anforderungen an die Aufbewahrungsbehältnisse führe, was das Waffenrecht so nicht hergebe. Im Ergebnis könne ausschließlich der Gesetz- bzw. Verordnunggeber dies regeln.

Aktuelle Handlungsempfehlung

Aktuell können wir folgende Handlungsempfehlung geben:

  • Waffenbesitzer in Nordrhein-Westfalen und Sachsen sollten die Schlüssel zu Waffenschränken „äquivalent“ zu den Waffen und der Munition verwahren – also in einem Behältnis, das denselben Sicherheitsanforderungen wie dem Waffenschrank genügt.
  • Das Gleiche legen wir Waffenbesitzern in Baden-Württemberg nahe.

Diejenigen, die sich ohnehin einen neuen Waffenschrank beschaffen möchten, sollten sich fragen, ob sie sich nicht direkt für ein Zahlen- oder ein Biometrie-Schloss entscheiden möchten. Zumindest beim Zahlenschloss wird sich aber parallel zum Schlüsselschloss die Frage stellen, wo Waffenbesitzer den Zahlencode hinterlegen. Wenn dieser ausschließlich in ihrem Kopf gespeichert und zudem variabler als das eigene Geburtsdatum oder als eine Folge von identischen Zahlen ist, sollte auch diese Form der „(geistigen) Verwahrung“ als ausreichende erforderliche Vorkehrung anzusehen sein. Den Zahlencode indes auf einem Blatt Papier zu notieren und dieses in einen Aktenordner mit den Unterlagen zum Waffenschrank abzuheften, dürfte indes nicht ausreichend sein.

Quo vadis?

Rein faktisch haben aktuell Waffenbesitzer in Nordrhein-Westfalen und Sachsen höheren Anforderungen auf die Aufbewahrung von Waffenschrankschlüsseln zu genügen, als Waffenbesitzer in anderen Bundesländern. Der Bundesrat hat kürzlich die Bundesregierung darum gebeten, das Waffenrecht zu „entkomplizieren“ (BR-Drs. 263/24). Dabei hat er auch die Rechtsprechung des OVG NRW in Bezug genommen. Das Bundesministerium des Inneren und für Heimat hat sich hierzu noch nicht verhalten. Immerhin ist der richtige Akteur adressiert, denn letzten Endes sollte es das Bundesministerium des Inneren und für Heimat sein, aus dem der Impuls für eine Klarstellung der gesetzlichen Regelungen kommen sollte.