Verfall und Verjährung von Urlaubsansprüchen – Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers

Arbeitgeber mussten sich in den vergangenen Jahren bereits auf eine zunehmend arbeitnehmerfreundliche Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) sowie des Bundesarbeitsgerichts (BAG) einstellen. Insbesondere hatte der EuGH bereits im Jahr 2018 (Urteil vom 06. November 2018 C – 684/16) entschieden, dass der gesetzliche Mindesturlaub eines Arbeitnehmers nur verfällt, wenn der Arbeitgeber seinen Hinweisobliegenheiten nachgekommen ist. Zur Erfüllung seiner Hinweisobliegenheiten muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer rechtzeitig auffordern, seinen Urlaub zu nehmen und ihn zudem darauf hinweisen, dass der Urlaub andernfalls am Ende des Bezugszeitraums oder eines zulässigen Übertragungszeitraums verfallen wird.

Nun hat der EuGH in zwei Entscheidungen vom 22. September 2022 die Bedeutung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten der Arbeitgeber bekräftigt:

1. Urlaubsanspruch verjährt nur bei rechtzeitigem Hinweis des Arbeitgebers

In der Rechtssache C- 120/21 hat der EuGH klargestellt, dass der gesetzliche Mindesturlaub auch nicht nach Ablauf der regelmäßigen Verjährungsfrist verjährt, wenn der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nicht rechtzeitig nachgekommen ist. Ohne einen rechtzeitigen Hinweis des Arbeitgebers bleibt der gesetzliche Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmers somit über das Ende des Urlaubsjahres bzw. des Übertragungszeitraums hinaus bestehen und verjährt auch nicht nach Ablauf einer Frist von drei Jahren (ab Ende des Kalenderjahres, in dem der Urlaubsanspruch entstanden ist).

2. Verfall des Urlaubsanspruches bei Krankheit nur bei rechtzeitigem Hinweis des Arbeitgebers

In einer weiteren Entscheidung vom 22. September 2022 (C- 518/20, zuvor verbunden mit C-727/20) hat der EuGH sich zudem mit dem Spannungsfeld zwischen krankheitsbedingtem Verfall des Urlaubsanspruchs und der Aufrechterhaltung des Anspruchs bei unterbliebenem Hinweis des Arbeitgebers auseinandergesetzt. Hierbei hat der EuGH klargestellt, dass der Urlaubsanspruch bei fortdauernder Krankheit des Arbeitnehmers nicht automatisch nach Ablauf von 15 Monaten (ab Ende des Kalenderjahres, in dem der Urlaubsanspruch entstanden ist) verfällt. Auch in diesen Fällen ist vielmehr erforderlich, dass der Arbeitgeber seine Hinweisobliegenheiten erfüllt und seinen Arbeitnehmer hierdurch rechtzeitig in die Lage versetzt hat, seinen Urlaub zu nehmen. Hat ein Arbeitnehmer also einen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub in einem Bezugszeitraum erworben, in dessen Verlauf er tatsächlich gearbeitet hat (d.h. bevor er voll erwerbsgemindert oder aufgrund einer seitdem fortbestehenden Krankheit arbeitsunfähig geworden ist) erlöscht dieser Anspruch nur dann nach 15 Monaten, wenn der Arbeitgeber seinen Hinweisobliegenheiten nachgekommen ist.

Bedeutung für die Praxis:

Arbeitgeber sollten ihre Hinweisobliegenheiten ernst nehmen, denn andernfalls müssen bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses sämtliche noch offenen Urlaubstage abgegolten werden.

Aufgrund der Beweislast des Arbeitgebers für die Erfüllung der Hinweisobliegenheiten ist es ratsam, die Arbeitnehmer schriftlich zu informieren und die Schreiben in den Personalakten abzulegen.

Darüber hinaus verstärken die neuerlichen Entscheidungen des EuGHs die Bedeutung einer klaren arbeitsvertraglichen Trennung des gesetzlichen Mindesturlaubs von vertraglichem Mehrurlaub. Denn ohne diese ausdrückliche Trennung finden die Vorgaben zum gesetzlichen Mindesturlaub regelmäßig auch auf den vertraglichen Mehrurlaub Anwendung.