Seit dem 01.01.2023 gilt für Unternehmen ab einer bestimmten Größe das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG). (Siehe auch Blogbeitrag vom 18.5.21) Es verpflichtet die erfassten Unternehmen, Risiken im Hinblick auf menschenrechts- und umweltbezogene Verstöße entlang der Lieferkette vorzubeugen und Verletzungen abzustellen. Das LkSG ist allerdings nur ein Baustein in einer wahren Gesetzgebungswelle, die zusammengefasst unter der Abkürzung „ESG“ vornehmlich gesellschaftspolitische Ziele verfolgt und zumeist vom europäischen Gesetzgeber im Rahmen des Green Deal angestoßen wurde. Von manchen als „Tsunami“ oder gar als „Jahrhundert-Projekt“ bezeichnet, gehen die Ziele dieser neuartigen Gesetzgebung auch dort, wo bislang nur Großunternehmen oder kapitalmarktorientierte Unternehmen verpflichtet sind, an kleineren und mittleren Unternehmen (KMU) nicht spurlos vorüber. Spätestens mit Umsetzung der CSRD-Richtlinie werden auch KMU ab dem Geschäftsjahr 2025 weiter in die Pflicht genommen.
Was bedeutet ESG?
Die Abkürzung ESG steht für Environmental Social Governance. Darunter wird insbesondere seit dem Pariser Klimaabkommen von 2015 vor allem diejenige Gesetzgebung gefasst, die Umwelt- und Klimaschutz zum zentralen Gegenstand hat. Zwar sind Menschenrechte, soziale und Umweltaspekte bereits seit geraumer Zeit unter dem Stichwort Corporate Social Responsibility (CSR) Gegenstand von Berichtspflichten kapitalmarktorientierter Unternehmen – in Deutschland insbesondere auf Grundlage von §§ 289b ff. HGB, die auf die sog. CSR-Richtlinie der EU von 2014 zurückgehen und seit April 2017 gelten. Mit dem Schlagwort Environmental Social Governance ist aber der Umwelt- und Klimaschutz erheblich in den Vordergrund gerückt. So zuletzt auf Grundlage der sog. Taxonomie-Verordnung, die seit dem 01.01.2022 für bestimmte kapitalmarktorientierte Unternehmen und Finanzmarktteilnehmer gilt und das Ziel verfolgt, Kapitalflüsse und insbesondere private Investitionen in nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten zu lenken.
Geltung auch für kleine und mittlere Unternehmen (KMU)?
Eine allgemeine gesetzliche Verpflichtung für Unternehmen, gleich welcher Größe, ihre Tätigkeit an den staatlichen Klima- und Nachhaltigkeitszielen auszurichten, besteht – bislang – nicht. Nachhaltigkeitsaspekte haben allerdings bereits Eingang in den Deutschen Corporate Governance-Kodex (DCGK) gefunden: Seit dem 28.04.2022 gilt die Empfehlung für den Aufsichtsrat, dessen Kompetenzprofil solle „auch Expertise zu den für das Unternehmen bedeutsamen Nachhaltigkeitsfragen umfassen“ (Empfehlung C.1). Ferner hält die Empfehlung D.3 fest: „Zur Rechnungslegung und Abschlussprüfung gehören auch die Nachhaltigkeitsberichterstattung und deren Prüfung.“ – Vorstand und Aufsichtsrat von börsennotierten Gesellschaften haben sich jährlich hierüber zu erklären („Comply or explain“).
Auch Verpflichtungen, die unmittelbar nur für kapitalmarktorientierte Unternehmen oder Unternehmen ab einer bestimmten Größe gelten, haben schon jetzt regelmäßig Auswirkungen auch für KMU. So verpflichtet etwa § 6 Abs. 4 LkSG Unternehmen im Geltungsbereich des LkSG, „angemessene Präventionsmaßnahmen gegenüber einem unmittelbaren Zulieferer“ zu verankern. Dabei sind menschenrechtsbezogene und umweltbezogene Erwartungen bei der Auswahl eines unmittelbaren Zulieferers zu berücksichtigen. Die Verpflichtung wird flankiert von dem Erfordernis einer entsprechenden vertraglichen Zusicherung des Zulieferers, der Durchführung von Schulungen und Weiterbildungen sowie der Vereinbarung angemessener vertraglicher Kontrollmechanismen. Spätestens auf diesem Wege werden damit auch KMU in ihrer Rolle als Zulieferer in das entsprechende Pflichtenregime einbezogen.
CSRD-Richtlinie und aktuelle Gesetzgebungsvorhaben der EU
Die aktuelle Gesetzgebung der EU geht indes noch deutlich weiter. Mit der am 14. Dezember 2022 verabschiedeten Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD-Richtlinie), die die CSR-Richtlinie ablöst, werden die jetzt schon für kapitalmarktorientierte Unternehmen geltenden Berichtspflichten zur Nachhaltigkeit deutlich ausgeweitet und es werden erheblich mehr Unternehmen erfasst: Berichtspflichten und Angaben zu Umwelt-, Nachhaltigkeits-, Sozial- und Arbeitnehmerbelangen sowie zur Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen, Bestechung und Korruption u.a. gelten ab dem Geschäftsjahr 2025 auch für KMU, die mindestens zwei der drei Merkmale für große Unternehmen nach § 293 HGB erfüllen; diese sind: Umsatzerlöse im Geschäftsjahr über 40 Millionen Euro, eine Bilanzsumme von über 20 Millionen Euro oder mehr als 250 Mitarbeiter im Jahresdurchschnitt.
Zu berichten ist dabei sowohl über die Auswirkungen der unterschiedlichen Nachhaltigkeitsaspekte auf das Unternehmen wie auch über die Auswirkungen der Geschäftstätigkeit des Unternehmens auf seine Umwelt („double materiality“). Wie weitreichend die Berichtspflichten sind, zeigen zwei Beispiele: Das Unternehmen hat im Lagebericht etwa darüber zu informieren, welche zeitgebundenen Nachhaltigkeitsziele es sich gesetzt hat. Es hat des Weiteren u.a. Angaben zu der Art und Weise zu machen, wie das Unternehmen beabsichtigt sicherzustellen, dass sein Geschäftsmodell und seine Strategie mit dem 1,5°C-Ziel des Pariser Klimaübereinkommens vereinbar sind, einschließlich der zugehörigen Durchführungsmaßnahmen sowie Finanz- und Investitionspläne. Zwar bleibt abzuwarten, wie der deutsche Gesetzgeber die Richtlinie umsetzen wird. Angesichts der konkreten Vorgaben dürfte es teilweise aber kaum Spielräume geben. Die Nachhaltigkeitsberichterstattung soll zudem Teil der Abschlussprüfung werden und wird damit in mehreren Schritten letztlich auf eine Stufe mit der Finanzberichterstattung gestellt.
Auch für KMU im Anwendungsbereich der CSRD-Richtlinie stellt sich somit die dringende Frage, wie künftig die erforderlichen Informationen und Daten unternehmensweit erfasst, zugeordnet und ausgewertet werden können. Kapitalmarktorientierte Unternehmen hatten auf Grundlage der CSR-Richtlinie für den Aufbau von entsprechenden Zuständigkeiten und Informationsflüssen eine mehrjährige Vorbereitungsphase. Für die künftig von der CSRD-Richtlinie miterfassten KMU bleiben lediglich noch knapp zwei Jahre, um ihre Organisation entsprechend aufzustellen. Entsprechendes gilt für die Formulierung und Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen in den betreffenden Bereichen durch das Management.
Im EU-Gesetzgebungsverfahren befindet sich aktuell zudem ein weiterer Richtlinienvorschlag der EU-Kommission für die sog. Corporate Sustainability Due Diligence-Richtlinie (CSDD-Richtlinie, auch „EU-Lieferketten-Richtlinie“) . Auf EU-Ebene werden damit einerseits die Zielsetzungen des LkSG erneut aufgegriffen. Der Richtlinienvorschlag geht aber darüber hinaus. Besonders bemerkenswert für das Gesellschaftsrecht: Die Definition der Sorgfaltspflichten für die Mitglieder der Unternehmensleitung soll generell um die Berücksichtigung „der kurz-, mittel- und langfristigen Folgen ihrer Entscheidungen für Nachhaltigkeitsaspekte“ erweitert werden. Entsprechende Empfehlungen hat für Deutschland auch schon der von der Bundesregierung eingesetzte Sustainable Finance Beirat vorgelegt (Abschlussbericht, S. 96). Der Richtlinienvorschlag sieht zudem Sanktionen sowie eine zivilrechtliche Haftung im Fall von Pflichtverstößen vor. Eine Verabschiedung der Richtlinie wird im Jahr 2023 erwartet. Die Entwicklung weiterer Vorgaben steht damit ersichtlich erst am Anfang.
Fazit
Die neuen Vorgaben dürften viele Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen stellen. Es reicht nicht, die Geschäftstätigkeit des Unternehmens im Rahmen des freien Leitungsermessens zunehmend nachhaltiger auszurichten. Konkrete Vorgaben und Berichtspflichten zu den unterschiedlichen Nachhaltigkeitsaspekten, wie sie mit der CSRD-Richtlinie eingeführt werden, erfordern grundlegende Organisationsanstrengungen. Die geforderten Angaben setzen zudem voraus, dass sich die Geschäftsleitung eingehend mit den betreffenden Nachhaltigkeitsaspekten befasst und entsprechende Ziele und Maßnahmen implementiert hat.
Es empfiehlt sich daher in jedem Fall, sich frühzeitig sowohl strategisch wie auch organisatorisch mit der Thematik zu befassen. Dies nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass das Interesse der Leser entsprechender Berichte, zu denen auch Anleger, Investoren, Stakeholder und allgemein die interessierte Öffentlichkeit gehören, weiter zunehmen wird. Die neuartigen Vorgaben dürften Unternehmen zudem an mancher Stelle vor Zielkonflikte stellen (Wirtschaftlichkeit vs. Nachhaltigkeit). Diese sollten frühzeitig bedacht werden. Auch in Anbetracht der Tatsache, dass weitere gesetzliche Vorgaben zu Nachhaltigkeitsaspekten zweifelsfrei folgen.
Sollten Sie Fragen oder Anmerkungen zu diesem Beitrag haben, kontaktieren Sie mich gerne: v.berger@melchers-law.com.