Neue Hindernisse bei Massenentlassungsanzeigen – „Soll“ Angaben als „Muss“ Angaben

Das Landesarbeitsgericht Hessen (LAG Hessen) hat in seiner Entscheidung vom 25.06.2021 festgestellt, dass Kündigungen wegen fehlender „Soll“ Angaben in der dazugehörigen Massenentlassungsanzeige unwirksam sein können. Dies galt bisher nur beim Fehlen von gesetzlich als „Muss“ Angaben vorgesehenen Informationen.

Hintergrund

Übersteigen beabsichtigte Entlassungen quantitativ festgelegte Schwellenwerte, so hat der Arbeitgeber dies im Rahmen einer Massenentlassungsanzeige der Agentur für Arbeit anzuzeigen. Dies gilt beispielsweise, wenn in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmern mehr als 5 Arbeitnehmer entlassen werden sollen. Die Anzeige hat nach der entsprechenden gesetzlichen Differenzierung sogenannte „Muss“- und „Soll“ Angaben zu enthalten.

Die „Muss“ Angaben umfassen Angaben zu

  • dem Namen des Arbeitgebers,
  • dem Sitz und der Art des Betriebes
  • den Gründen für die geplanten Entlassungen,
  • der Zahl und den Berufsgruppen der zu entlassenden und der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer,
  • dem Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen und
  • den vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer.

Zu den „Soll“ Angaben zählen arbeitnehmerbezogene Informationen wie

  • Geschlecht,
  • Alter,
  • Beruf und
  • Staatsangehörigkeit der zu entlassenden Arbeitnehmer.

Das Vorliegen der „Soll“ Angaben war nach bisheriger Rechtsprechung keine Anforderung an eine ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige. Das LAG Hessen hat in seiner Entscheidung nunmehr eine gegenteilige Auffassung vertreten.

Entscheidung

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz zuletzt noch um die Wirksamkeit einer ordentlichen, aus betriebsbedingten Gründen ausgesprochenen Kündigung. Die Beklagte sprach gegenüber 17 im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmern im Zeitraum vom 18.06.2019 bis zum 18.07.2019 betriebsbedingte Kündigungen aus. Die Quantität der entlassenen Arbeitnehmer erfüllte die Voraussetzungen der Massenentlassung im Sinne des § 17 Kündigungsschutzgesetz (KSchG). Die Beklagte reichte gegenüber der Agentur für Arbeit eine Massenentlassungsanzeige ein. Die Anzeige enthielt die „Muss“ Angaben gemäß § 17 Abs.3 S.4 KSchG, nicht jedoch die „Soll“ Angaben nach § 17 Abs.3 S.5 KSchG. Eine Nachholung der Übermittlung dieser Angaben unterblieb auch bis zum Zugang der Kündigungen bei den jeweiligen Arbeitnehmern. Das Gericht hat die Kündigung als unwirksam angesehen, weil die Massenentlassungsanzeige den Voraussetzungen des KSchG nicht genügt habe. § 17 Abs.3 S.4 und 5 KSchG sind vor dem Hintergrund unionsrechtlicher Vorgaben richtlinienkonform auszulegen. Die heranzuziehende Richtlinie kennt eine Unterscheidung zwischen „Soll“- und „Muss“ Angaben nicht. Sowohl die in § 17 Abs.3 KSchG genannten „Soll“- und „Muss“ Angaben sind zweckdienlich im Sinne der Richtlinie. Nach Auffassung des Gerichts sind Angaben entweder für die Vermittlung der zu entlassenden Arbeitnehmer zweckdienlich und daher für die Wirksamkeit der Anzeige erforderlich oder sie seien überflüssig und deshalb entbehrlich. „Soll“- und „Muss“ Angaben sind mithin einheitlich zu betrachten. Auch Verstöße gegen die „Soll“ Angaben führen deshalb zur Fehlerhaftigkeit der Massenentlassungsanzeige und somit zur Unwirksamkeit der Kündigung.

Hinweise für die Praxis

Die Entscheidung des LAG Hessen ist noch nicht rechtskräftig. Bis es zu einer finalen Klärung durch das Bundesarbeitsgericht kommt, bringt die Entscheidung ein erhebliches Maß an Rechtsunsicherheit mit sich. Arbeitgeber sind gut beraten, die „Soll“ Angaben im Rahmen des Massenentlassungsverfahren als „Muss“ Angaben zu behandeln. Hieraus folgt ein beachtlicher Mehraufwand bei Restrukturierungen, da entsprechende Informationen oftmals erst eingeholt werden müssen. Anzumerken ist, dass das LAG Hessen vom Arbeitgeber nur solche Angaben fordert, die diesem auch möglich sind. Es sieht Arbeitgeber allerdings auch verpflichtet, Nachforschungen anzustellen, wenn ihm etwaige „Soll“ Angaben unbekannt sind. Diese Nachforschungspflicht sollten Arbeitgeber ernst nehmen, da sie in einem gerichtlichen Verfahren darlegen und beweisen müssen, dass sie diesen Pflichten entsprochen haben.