Massenentlassung – auf die richtige Reihenfolge kommt es an

Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hatte in einer etwas überraschenden Entscheidung (LAG Baden-Württemberg, Urteil v. 21.08.2018 – 12 Sa 17/18) entschieden, dass eine Kündigung unwirksam ist, wenn die Kündigungserklärung vor dem Eingang der Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit unterschrieben wird.

Dieses wenig praktikable Urteil hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit seiner Entscheidung vom 13.06.2019 (6 AZR 459/18) korrigiert.

Hintergrund

Von Gesetzes wegen ist der Arbeitgeber verpflichtet, der Agentur für Arbeit Anzeige zu erstatten, wenn beispielsweise in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmern mehr als 5 Arbeitnehmer entlassen werden sollen. Beabsichtigt ein Arbeitgeber einen derartigen Personalabbau, der aufgrund seines Umfangs als Massenentlassung zu qualifizieren ist, so hat er grundsätzlich zweierlei zu beachten:

Existiert ein Betriebsrat, so hat er diesen über die geplante Maßnahme zu informieren und sich mit ihm zu beraten (Konsultationsverfahren). Hierdurch soll dem Betriebsrat ermöglicht werden, Einfluss auf die Entscheidungen des Arbeitgebers zu nehmen und so die Massenentlassung zu verhindern oder zumindest einzuschränken.

Unabhängig von dem Bestehen eines Betriebsrats und dessen Konsultation hat der Arbeitgeber außerdem eine Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit zu erstatten (Anzeigeverfahren). Der Agentur für Arbeit soll so die Möglichkeit eröffnet werden, dass sie sich frühzeitig auf eine größere Zahl an Entlassungen einstellt. Einen Beratungsanspruch hat sie im Gegensatz zu einem Betriebsrat jedoch nicht.

Missachtet der Arbeitgeber eine dieser Voraussetzungen, so hat das erhebliche Folgen. Die ausgesprochenen Kündigungen sind unwirksam. Eine Heilung ist auch nicht durch Erstattung einer verspäteten Entlassungsanzeige möglich.

Sachverhalt

Der in der Entscheidung des BAG beklagte Insolvenzverwalter verfasste eine Massenentlassungsanzeige und stellte diese am 26.06.2017 bei der Agentur für Arbeit. Mit Schreiben vom gleichen Tag kündigte er das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger sowie anderer 44 zu diesem Zeitpunkt beschäftigten Mitarbeitern ordentlich betriebsbedingt.

Die Kündigung ging dem Kläger am 27.06.2017 zu. Er erhob Kündigungsschutzklage und machte unter anderem geltend, dass der Arbeitgeber im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) seiner Anzeigenpflicht vor seiner Entscheidung zur Kündigung nachzukommen habe. Die Unterschrift, durch welche die Kündigung konstitutiv geschaffen werde, habe von daher erst nach Eingang der Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit zu erfolgen.

Das Landesarbeitsgericht ist dem gefolgt und hat der Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil der ersten Instanz stattgegeben.

Entscheidung

Die Revision des Beklagten hatte vor dem BAG Erfolg. Der Sechste Senat wies den Rechtsstreit zurück an das LAG, da mit den bisher getroffenen Feststellungen eine abschließende Beurteilung der Wirksamkeit der Kündigung nicht möglich sei.

Das BAG wies bereits in seiner Pressemitteilung darauf hin, dass das Anzeigeverfahren beschäftigungspolitischen Zwecken dient. Um sich auf eine größere Anzahl Entlassungen und auf die entsprechenden Vermittlungsbemühen einzustellen, ist Voraussetzung, dass bereits feststeht, wie viele und welche Arbeitnehmer entlassen werden. Anders als der Betriebsrat im Konsultationsverfahren kann und soll die Agentur jedoch keinen Einfluss auf die Willensbildung des Arbeitgebers haben. Das bedeutet, dass der Arbeitgeber auch schon bei Einreichung der Massenentlassungsanzeige die konkreten Kündigungsentscheidungen getroffen haben kann.

Hinweis für die Praxis

Die Entscheidung des BAG ist begrüßenswert, da sie die praktische Umsetzung eines größeren Personalabbaus handlicher macht. Die Kündigungen können somit zeitgleich mit der Massenentlassungsanzeige vorbereitet und von Vertretungsberechtigten unterzeichnet werden.

Es sollte jedoch nach wie vor darauf geachtet werden, dass die Kündigung dem Arbeitnehmer nach Erstattung der Massenentlassungsanzeige zugeht. Zusätzlich zu der grundsätzlichen Empfehlung, bei Kündigungen den Zeitpunkt der Übergabe oder der Versendung genau zu dokumentieren, gilt es darauf zu achten, dass auch der Zugang der Eingangsbestätigung der Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit dokumentiert wird. Wegen der aufgezeigten schwerwiegenden Folgen von Fehlern im Rahmen von Kündigungen im Massenentlassungsverfahren sollten Arbeitgeber hier besonders sorgfältig vorgehen.