Fehlende Vergütungsvereinbarung bei Auftragserteilung: Die Mindestsätze der HOAI 2013 sind auf Altverträge anwendbar

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte Anfang dieses Jahres entschieden, dass die in der HOAI 2013 vorgesehenen Mindestsätze auf Verträge, die vor dem 01.01.2021 geschlossen wurden, weiterhin zwischen Privaten angewendet werden können (siehe auch Blogbeitrag vom 31.01.2022). Dies gelte trotz des Verstoßes der Mindestsätze gegen europarechtliche Vorschriften. Es war daher nach diesem Urteil zu vermuten, dass die nationalen Gerichte das zwingende Preisrecht der HOAI 2013 für alte Verträge weiterhin berücksichtigen werden. Dies hat sich mit dem Urteil des Oberlandesgerichts Hamburg vom 22.04.2022 (Az: 8 U 78/19) nun in einem Fall bestätigt.

Sachverhalt

Der Auftraggeber (im folgenden AG) beauftragte 2014 einen Architekten mit Planungsleistungen. Die Parteien einigten sich zunächst nur mündlich, ohne eine konkrete Vergütung zu bestimmen. Ein schriftlicher Vertrag wurde erst später geschlossen. Die Parteien vereinbarten in diesem schriftlichen Vertrag eine Pauschalvergütung, die unterhalb der Mindestsätze der HOAI 2013 lag. Der Architekt klagte nach Kündigung des Vertrages gegen den AG sodann auf Zahlung restlichen Werklohns auf Basis der Mindestsätze der HOAI 2013 (sogenannte Aufstockungsklage). Die Beklagte behauptet, die Berufung auf die Mindestsätze sei europarechtswidrig und treuwidrig.  

Entscheidung

Das Gericht gab dem Architekten grundsätzlich Recht! Der Architekt könne ein Honorar auf Basis der Mindestsätze der HOAI 2013 verlangen.

Der Architekt sei nicht gezwungen, auf Grundlage des später schriftlich vereinbarten Pauschalhonorars abzurechnen. Nach § 7 Abs. 5 HOAI 2013 gelten die Mindestsätze, wenn die Parteien bei der Auftragserteilung nichts Anderes schriftlich vereinbart haben. Der Architektenvertrag wurde bereits vor dem schriftlichen Vertrag mündlich und ohne Abrede einer konkreten Vergütung geschlossen. Damit habe bei (mündlicher) Auftragserteilung keine von den Mindestsätzen abweichende schriftliche Vereinbarung vorgelegen.

Zudem sei die Vergütung auf Basis der Mindestsätze auch nicht europarechtswidrig. Das Gericht verweist auf die Entscheidung des EuGH, nach der die Mindestsätze der HOAI 2013 grundsätzlich weiterhin auf Altverträge angewendet werden könnten, auch wenn die Mindestsätze gegen europarechtliche Vorschriften verstoßen würden.

Es gebe auch keine weiteren innerstaatlichen Regelungen, die hier gegen die Anwendung der Mindestsätze sprechen würden. Insbesondere handele der Architekt nicht treuwidrig, indem er zunächst eine Honorarabrede getroffen habe und sich nun doch auf die (höheren) Mindestsätze berufe. Eine Treuwidrigkeit sei bei einem widersprüchlichen Verhalten des Architekten nur dann gegeben, wenn der Auftraggeber auf die Wirksamkeit der Vereinbarung vertraut hat und vertrauen durfte und er sich darauf in einer Weise eingerichtet habe, dass ihm die Zahlung des Differenzbetrages zwischen dem vereinbarten Honorar und den Mindestsätzen nach Treu und Glauben nicht zugemutet werden könne, weil sie eine besondere Härte für ihn bedeuten würde. Dies sei im vorliegenden Fall nicht gegeben. Unzumutbare Folgen seien nicht zu erkennen. Insbesondere verbleibe dem Auftraggeber weiterhin eine ausreichende Mietrendite. 

Praxistipp

Die Entscheidung war grundsätzlich im Hinblick auf die vorangegangene Entscheidung des EuGH zu erwarten. Der Fall beinhaltet jedoch eine Besonderheit, da das Gericht die Mindestsätze auch aufgrund der fehlenden schriftlichen Vergütungsvereinbarung bei Auftragserteilung angewendet hat. In der neuen HOAI gelten die sogenannten Basishonorare für den Fall, dass keine oder keine wirksame Honorarvereinbarung in Textform getroffen wurde. Im Unterschied zu der HOAI 2013 kommt es nun nicht mehr darauf an, dass die Vergütungsvereinbarung „bei Auftragserteilung“ geschlossen wird.