Arbeitgeber, die in einem Betrieb einen größeren Personalabbau beabsichtigen, haben dies der zuständigen Agentur für Arbeit anzuzeigen. Mit unserem Blogbeitrag vom 26.09.2019 haben wir bereits thematisiert, dass die Kündigung dem Arbeitnehmer erst nach Erstattung der Massenentlassungsanzeige zugehen darf, wenn die Unwirksamkeit der Kündigung nicht riskiert werden soll. In einem neuen Urteil hatte sich das Bundesarbeitsgericht („BAG“) unter anderem mit der Frage zu befassen, bei welcher örtlich zuständigen Agentur für Arbeit die Massenentlassungsanzeige eingereicht werden muss.
Das BAG hat in seiner Entscheidung (BAG, Urteil v. 13.02.2020 – 6 AZR 146/19) festgestellt, dass die Kündigungen des Cockpit Personals der insolventen Fluggesellschaft Air Berlin wegen fehlerhafter Massenentlassungsanzeigen unwirksam seien. Bei der erfolgten Anzeige wurde der zu Grunde zu legende Begriff des Betriebs verkannt, weshalb die Anzeige bei der unzuständigen Agentur für Arbeit Berlin-Nord gestellt wurde.
Hintergrund
Übersteigen die beabsichtigten Entlassungen quantitativ festgelegte Schwellenwerte, so hat der Arbeitgeber dies der Agentur für Arbeit anzuzeigen. Dies gilt beispielsweise, wenn in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmern mehr als 5 Arbeitnehmer entlassen werden sollen. Beabsichtigt ein Arbeitgeber einen derartigen Personalabbau, muss er grundsätzlich zweierlei beachten.
Existiert ein Betriebsrat, so hat er diesen über die geplanten Entlassungen zu informieren und sich mit ihm zu beraten (Konsultationsverfahren). Hierdurch soll dem Betriebsrat ermöglicht werden, Einfluss auf die Entscheidungen des Arbeitgebers zu nehmen und so die Massenentlassung zu verhindern oder zumindest einzuschränken.
Unabhängig von dem Bestehen eines Betriebsrats und dessen Konsultation hat der Arbeitgeber außerdem eine Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit zu erstatten (Anzeigeverfahren). Der Agentur für Arbeit soll so die Möglichkeit eröffnet werden, dass sie sich frühzeitig auf eine größere Zahl an Entlassungen einstellen und Maßnahmen vorbereiten kann, um die von den Entlassungen betroffenen Arbeitnehmer in neue Arbeitsverhältnisse zu vermitteln.
Missachtet der Arbeitgeber eine dieser Voraussetzungen, so hat das erhebliche Folgen. Die ausgesprochenen Kündigungen sind unwirksam. Eine Heilung ist auch nicht durch Erstattung einer verspäteten Entlassungsanzeige möglich.
Sachverhalt
Der Pressemitteilung des BAG ist zu entnehmen, dass der Kläger bei der beklagten Air Berlin als Pilot mit Einsatzort Düsseldorf beschäftigt war. Das Arbeitsverhältnis des Klägers wurde wie das aller anderen Piloten wegen Stilllegung des Flugbetriebs Ende November 2017 gekündigt.
Die Beklagte unterhielt an mehreren Flughäfen sogenannte Stationen. Jeder Station war Personal für die Bereiche Boden, Kabine und Cockpit zugeordnet. Der Insolvenzverwalter der Beklagten erstattete die Massenentlassungsanzeige für den angenommenen „Betrieb Cockpit“ und damit bezogen auf das bundesweit beschäftigte Cockpit-Personal. Dieses Betriebsverständnis beruhte auf den bei der Beklagten tarifvertraglich getrennt organisierten Vertretungen für das Boden-, Kabinen- und Cockpit-Personal. Die Anzeige erfolgte wegen der zentralen Steuerung des Flugbetriebs bei der für den Sitz der Air Berlin zuständigen Agentur für Arbeit Berlin-Nord. Der Kläger hat unter anderem die Stilllegungsentscheidung bestritten. Der Flugbetrieb werde durch andere Fluggesellschaften (teilweise) fortgeführt. Die Massenentlassungsanzeige sei fehlerhaft. Die Vorinstanzen hatten die Kündigungsschutzklage des Klägers abgewiesen.
Entscheidung
Die Revision des Klägers hatte vor dem BAG Erfolg. Der Sechste Senat folgte der Auffassung des Klägers, dass die Massenentlassungsanzeige nicht bei der Agentur für Arbeit Berlin-Nord hätte gestellt werden dürfen.
Das Gericht stellte fest, dass nach dem unionsrechtlichen geprägten Betriebsbegriff des § 17 KSchG, der die Regelungen zur Massenentlassung normiert, die einzelnen Stationen von Air Berlin Betriebe im Sinne der Norm sind. Für die der Station Düsseldorf zugeordneten Piloten hätte die Anzeige bei der Agentur für Arbeit Düsseldorf als zuständige Behörde erfolgen müssen. Dem Betriebsverständnis der Beklagten, welches auf der tarifvertraglichen getrennt organisierten Vertretung für das Boden-, Kabinen- und Cockpit-Personal beruht, folgte das Gericht nicht. Dies erscheint konsequent, da die frühe Einschaltung der zuständigen Agentur für Arbeit vor dem Hintergrund erfolge, den Auswirkungen der Massenentlassung wirksam entgegen zu treten. Diese treten im entschiedenen Fall jedoch in Düsseldorf und nicht in Berlin auf.
Das Gericht hat die Massenentlassungsanzeige der Beklagten aber noch aus einem anderen Grund für fehlerhaft erachtet. Die für die Anzeige zwingend erforderlichen Angaben hätten auch das der Station zugeordnete Boden- und Kabinen Personal erfassen müssen. Für den heranzuziehenden Betriebsbegriff ist die Einordnung der Beschäftigtengruppen in andere kollektivrechtliche Vertretungsstrukturen nicht maßgeblich.
Hinweise für die Praxis
Die Entscheidung des BAG zeigt die praxisrelevanten Probleme aus dem Verständnis des Betriebsbegriffs nach Unionsrecht und nach deutschem Recht. Vor dem Hintergrund, dass Fehler in dem sehr formalen Verfahren der Anzeige der Massenentlassung häufig zur unheilbaren Unwirksamkeit der Kündigungen führt, sollten Arbeitgeber hier besonders sorgfältig vorgehen.
Lässt sich trotz sorgfältiger Prüfung nicht zweifelsfrei feststellen, wo und für welche Arbeitnehmer eine Anzeige zu stellen ist, sollte im Zweifelsfall auch bei der zuständigen Agentur für Arbeit einer vermeintlich unselbstständigen Betriebsstätte die Massenentlassung angezeigt werden.