Dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer obliegen im Rahmen des Arbeitsverhältnisses nicht nur leistungsbezogene Pflichten, vornehmlich die Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer sowie die Pflicht zur Zahlung der vereinbarten Vergütung durch den Arbeitgeber, sondern auch Nebenpflichten wie die Verhaltenspflicht zur Rücksichtnahme. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist der Arbeitgeber aufgrund dieser Rücksichtnahmepflicht gehalten, auf das Wohl und die berechtigten Interessen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen und ihn vor Gesundheitsgefahren zu bewahren.
Das Bundesarbeitsgericht musste zuletzt u.a. über eine Verletzung der vorgenannten Rücksichtnahmepflicht durch Urteil vom 21.12.2017 (Az: 8 AZR 853/16) entscheiden. Der Entscheidung lag ein Sachverhalt zugrunde, in welchem den Beschäftigten des Arbeitgebers in einer E-Mail angeboten wurde, an einer Grippeschutzimpfung vor dem Speisesaal des Arbeitgebers teilzunehmen. Die E-Mail wurde durch eine Ärztin für Arbeitsmedizin und die Betriebsärztin unterzeichnet. Der Arbeitgeber übernahm die Kosten für diese Grippeschutzimpfungen. Nachdem bei einer Arbeitnehmerin Beschwerden nach der Impfung aufgetreten waren, verklagte diese ihren Arbeitgeber auf Schadensersatz und Schmerzensgeld – jedoch ohne Erfolg!
Das Bundesarbeitsgericht führte aus, dass ein Arbeitgeber, der im Arbeitsverhältnis eine Gefahrenlage – gleich welcher Art – schaffe, grundsätzlich die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen treffen müsse, um eine Schädigung der Beschäftigten so weit wie möglich zu verhindern. Dieser Verpflichtung war der Arbeitgeber jedoch in dem zu entscheidenden Fall nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts nachgekommen. Unstreitig führte der Arbeitgeber nicht selbst die Impfung durch. Die Übernahme der Kosten durch den Arbeitgeber ließe nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts nicht darauf schließen, dass der Arbeitgeber eine Behandlung – hier die Impfung – zusagen oder sich hierzu verpflichten wollte. Das Bundesarbeitsgericht verneinte in der Folge das Zustandekommen eines Behandlungsvertrags zwischen der Arbeitnehmerin und dem Arbeitgeber, aus welchem sich etwaige Schadensersatzansprüche wegen Falschbehandlung hätten ergeben können. Auch könne dem Arbeitgeber ein etwaiger Behandlungsfehler – der vorliegend zwar verneint wurde – durch die impfende Ärztin nicht zugerechnet werden. Die Impfung wurde nämlich in öffentlich zugänglichen Räumlichkeiten des Arbeitgebers durch Ärztinnen angeboten, die ausweislich der E-Mail an die Beschäftigten zur Impfung eingeladen hatten. Es sei nicht ersichtlich, dass die Ärztinnen für den Arbeitgeber gehandelt hätten. Dafür spricht auch, dass seitens der Ärztinnen nicht der Eindruck erweckt wurde, dass sie die Impfungen im Rahmen eigener Arbeitsverhältnisse mit dem Arbeitgeber durchführen würden.
Im Ergebnis hatte der Arbeitgeber zwar dadurch, dass er es den Ärztinnen ermöglichte, Impfungen in seinen Räumlichkeiten anzubieten, eine Gefahrenlage geschaffen, da Impfungen nach dem Bundesarbeitsgericht grundsätzlich gesundheitliche Folgeschäden hervorrufen können. Der Arbeitgeber hatte die Ärztinnen jedoch ordnungsgemäß ausgewählt und war damit seinen Rücksichtnahmepflichten nachgekommen. Eine Überwachungs- oder Kontrollpflicht des Arbeitgebers bei den Impfungen lehnte das Bundesarbeitsgericht ab.
Für die Praxis:
Ein Arbeitgeber ist grundsätzlich nicht verpflichtet, die allgemeine Gesundheitsvorsorge seines Arbeitnehmers mit Gesundheitsangeboten zu fördern. Es ist Sache des Einzelnen, sich um seine Gesundheitsvorsorge zu kümmern. Werden Leistungen in den Räumlichkeiten des Arbeitgebers angeboten oder durch diesen finanziert, genügt der Arbeitgeber seinen arbeitsvertraglichen Pflichten, wenn er den Arzt ordnungsgemäß auswählt. Überwachungs- und Kontrollpflichten treffen den Arbeitgeber in diesem Fall nicht. Etwas anderes gilt nur, wenn der Arbeitgeber selbst Partei des Behandlungsvertrags wird.