Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung (BAG, Urteil v. 07.02.2019 – 6 AZR 75/18) festgestellt, dass eine Verletzung des Gebots des fairen Verhandelns grundsätzlich geeignet sein kann, die Unwirksamkeit des geschlossenen Aufhebungsvertrags zu begründen. Diese Entscheidung behandelten wir in unserem Blogbeitrag vom 04.04.2019.
Diesem Grundsatz hat das BAG in einer jüngsten Entscheidung weitere Konturen verpasst. Arbeitgeber dürfen den Abschluss eines Aufhebungsvertrags auch von einer sofortigen Annahme durch den Arbeitnehmer abhängig machen. Ein Verstoß gegen Gebot des fairen Verhandelns liegt bei einem solchen Verfahren nicht vor (BAG, Urteil v. 24.02.2022 – 6 AZR 333/21) .
Hintergrund
Ein Aufhebungsvertrag ist ein gegenseitiger Vertrag zwischen den Arbeitsvertragsparteien, der das Arbeitsverhältnis zu einem bestimmten Zeitpunkt beendet.
Ist ein Aufhebungsvertrag einmal geschlossen, kommt zu dessen Beendigung im Wesentlichen nur das Recht zur Anfechtung eines Vertrages in Betracht. Wurde der Arbeitnehmer beispielsweise durch den Arbeitgeber arglistig getäuscht oder widerrechtlich bedroht, kann er die Anfechtung des Vertrages erklären, wenn der Vertragsschluss auf diese Täuschung oder Drohung zurückzuführen ist. Ein Beispielsfall für eine widerrechtliche Drohung kann das in Aussicht stellen einer außerordentlichen Kündigung und/oder Strafanzeige durch den Arbeitgeber sein, obwohl dies nicht ernsthaft in Betracht hätte kommen dürfen. Eine arglistige Täuschung könnte beispielsweise anzunehmen sein, wenn falsche Tatsachen über die Zukunft des Betriebes vorgespiegelt worden wären. In der Praxis liegen derartige Sachverhalte jedoch nur selten vor. Erschwerend kommt noch hinzu, dass die entsprechenden Handlungen in einem gerichtlichen Verfahren auch nachgewiesen werden müssen.
Sachverhalt
In dem entschiedenen Fall streiten die Parteien unter anderem um den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses nach Abschluss eines Aufhebungsvertrags.
Die Klägerin war bei der Beklagten als Teamkoordinatorin Verkauf tätig. Der Klägerin wurde vorgeworfen, unbefugt Einkaufspreise in der EDV der Beklagten abgeändert bzw. reduziert zu haben. Der Vorwurf war Gegenstand eines Gesprächs am 22.11.2019 in den Büroräumen der Beklagten. Teilnehmer des Gesprächs waren die Klägerin, der Geschäftsführer der Beklagten sowie ein Rechtsanwalt, der im späteren gerichtlichen Verfahren als Prozessbevollmächtigter der Beklagten auftrat. Die Klägerin hat nach einer Gesprächspause von ca. zehn Minuten, in welcher die Parteien nur schweigend an einem Tisch saßen, den Aufhebungsvertrag unterzeichnet. Der Vertrag sah unter anderem eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.11.2019 vor.
Die Klägerin verfolgte mit ihrer Klage die Feststellung der Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrags. Sie führte an, dass ihr eine außerordentliche Kündigung und die Erstattung einer Strafanzeige in Aussicht gestellt worden seien, falls sie den Vertrag nicht unterschreibe. Eine längere Bedenkzeit und die Möglichkeit, Rechtsrat einzuholen, sei ihr nicht gewährt worden. Die Beklagte habe so gegen das Gebot des fairen Verhandelns verstoßen. Das Arbeitsgericht in erster Instanz hat der Klage noch stattgegeben. In der zweiten Instanz hat das Landesarbeitsgericht die Klage zum Nachteile der Klägerin abgewiesen.
Entscheidung
Die Revision der Klägerin hatte beim BAG keinen Erfolg. Auch wenn der von der Klägerin geschilderte Gesprächsverlauf als wahr unterstellt wird, fehlt es an der Widerrechtlichkeit der behaupteten Drohung. Grundsätzlich sind die Gesamtumstände der konkreten Verhandlungssituation im jeweiligen Einzelfall zu beurteilen. Im entschiedenen Fall durfte ein Arbeitgeber sowohl die Erklärung einer außerordentlichen Kündigung als auch die Erstattung einer Strafanzeige ernsthaft in Erwägung ziehen. Nach dem Verhalten der Klägerin war beides nicht völlig abwegig. Das in Aussicht zu stellen war somit nicht rechtswidrig. Die Beklagte hat nicht unfair verhandelt. Sie hat dadurch auch nicht gegen ihre arbeitsvertraglichen Nebenpflichten verstoßen.
Auch dass die Arbeitnehmerin den Vertrag nur sofort hatte unterschreiben dürfen, war rechtlich nicht zu beanstanden. Die Entscheidungsfreiheit der Klägerin wurde nicht dadurch verletzt, dass die Beklagte den Aufhebungsvertrag nur zur sofortigen Annahme unterbreitet hatte.
Das BAG entschied, dass der Aufhebungsvertrag wirksam geschlossen und das Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß beendet wurde.
Hinweis für die Praxis
Die Entscheidung des BAG verdient Zustimmung. Die Unwirksamkeit von Aufhebungsverträgen aufgrund der Verletzung des Gebots des fairen Verhandelns ist nur in Ausnahmefällen anzunehmen. Dies wird durch die vorliegende Entscheidung bekräftigt. Die Sorge, dass Aufhebungsverträge künftig nur noch mit einer gewissen Rechtsunsicherheit abgeschlossen werden können, wurde nicht bestätigt. Arbeitgeber sind nicht verpflichtet, Arbeitnehmern eine Bedenkzeit zur Unterschrift zu gewähren oder eine möglichst angenehme Verhandlungssituation zu schaffen. Gleichwohl sollten Arbeitgeber sorgfältig abwägen, ob sie Arbeitnehmern im Rahmen einer Verhandlungssituation eine außerordentliche Kündigung oder eine Strafanzeige in Aussicht stellen. In jedem Fall sind Arbeitgeber gut beraten, die Inhalte der Gespräche sorgfältig und möglichst detailliert zu dokumentieren.